Schottische Disteln
Verkauf?«
»Ich hab doch die neuen Welpen. Wenn ich dieses Jahr einen Preis für meine Zucht kriege, kann ich sie bestens verkaufen. Ich brauche das Geld für ein neues Dach. Meine Emma schmeißt mich raus, wenn‘s diesen Winter wieder durchregnet.«
»Das seh ich ein. Wer bleibt also noch für den Trödelmarkt?«
Ryan sah sich um. Und was er sah, gefiel ihm nicht. Alle blickten mit glänzenden Augen auf ihn, der Streit war vergessen.
»Na, du natürlich!«, hieß es im Chor.
Erschrocken hob Ryan die Hände. »Nein! Das kommt nicht infrage. Da ist noch Ronald, warum macht er es nicht?«
»Ich bin in der Dudelsackkapelle, ich muss spielen, von morgens bis abends.«
Ryan schüttelte den Kopf. »Unmöglich, ich kann mich da nicht hinstellen. Das geht einfach nicht.«
»Bist du unser Freund, oder bist du‘s nicht?«
»Was spricht dagegen, Mann! Einen Tag kannst du doch mal opfern.«
»Jetzt kannst du zeigen, ob du zu uns gehörst. Du bist sowieso immer nur im Sommer hier, aber für uns ist es trotzdem so, als ob du hier geboren wärst. Nun zeig mal, dass du dazugehörst.«
Ryan fühlte sich überrumpelt. Kalter Schweiß brach ihm aus. Unmöglich, dachte er. Das kann ich nicht tun. Zu den Highlandspielen kamen die Menschen aus ganz Schottland angereist. Nicht auszudenken, wenn ihn Leute sahen, die ihn kannten, die ihn aus seinem anderen Leben bestens kannten. Er auf dem Trödelmarkt – er sah schon die Schlagzeilen in der Presse und hörte, wie sich alle die Mäuler zerrissen.
Unmöglich, dachte er wieder. Aber wie sollte er das seinen Freunden hier klar machen? Er konnte natürlich wegfahren. Einfach verschwinden, aber er wusste auch, dass er dann niemals wieder hierher kommen konnte. Er würde den schönsten Teil seines Lebens aufgeben, vier Wochen, auf die er sich ein ganzes Jahr lang freute. Die Gruppe um ihn herum war still geworden. Alle sahen ihn an. Ihre Augen schienen ihn förmlich zu durchbohren, erwartungsvoll, ihres Sieges schon sicher, denn sie hatten genau das getan, was Erfolg versprach: Sie hatten an seine Ehre appelliert und ihre Freundschaft in die Waagschale geworfen. Er konnte sie nicht enttäuschen, aber er konnte sich auch nicht auf den Trödelmarkt stellen. Er brauchte erst einmal Zeit zum Überlegen, zu viel hing für ihn von seiner Entscheidung ab.
»Lasst mir mal Zeit, mich an den Gedanken zu gewöhnen.«
»Viel Zeit hast du aber nicht.«
»Wann sind die Spiele?«
»In einer Woche. Sie sind in diesem Jahr von Ende September auf Mitte August vorgezogen worden.«
»Wegen des Wetters. Wir hatten zuletzt immer Regen im September.«
Deshalb also hatte er die Spiele noch nicht miterlebt. Jetzt wurde ihm so manches klar. »Wer hat denn in den anderen Jahren den Verkauf übernommen?«
»Tom aus Auldearn. Aber dem ist die Frau gerade gestorben, der fällt weg.«
Ryan nickte. »Und sonst gibt es keinen unter all den Männern hier im Landkreis?«
»Du weißt doch, dass wir für unsere Gegend zuständig sind. Wir haben die Verantwortung, wir wurden gewählt. Ist nun mal so Tradition, also lass uns nicht hängen.«
»Ich überleg‘s mir. Mehr kann ich heute nicht sagen.«
»Okay. Aber in zwei Tagen müssen wir es wissen. Kommst du in den Pub, oder müssen wir dir wieder auf die Pelle rücken?«
»Ich komme in die Kneipe. Abgemacht.«
Erst jetzt drängten sich die Männer um Brot und Wurst, füllten die Krüge mit Bier und ließen sich gemütlich nieder. Die Hunde kamen aus der Küche und rollten sich wieder auf den Decken zusammen, Ryan legte Holz nach, denn der Abend versprach noch lang zu werden.
II
Andrea genoss das schöne Wetter. Sie hatte sich am Bootsanleger einen Liegestuhl gemietet und nutzte ihre Mittagspause zum Sonnenbad. Unter ihr plätscherten die Wellen der Außenalster gegen den Steg, und von weit her hörte sie die Kommandos eines Trainers, der mit seiner Rudermannschaft übte. Sie blinzelte in den Himmel, beobachtete eine ferne Wolkenwand und träumte vor sich hin.
Sie war schon immer eine Träumerin gewesen. Als Kind stellte sie sich große Hunde vor, die sie auf den langweiligen Spaziergängen mit den Eltern begleiteten. Sie gehorchten nur ihr und schützten sie mit dumpfem Knurren vor fremden Menschen. Einer gelben Dogge und einem gestromten Greyhound gab sie dabei den Vorzug. Andrea lächelte bei dem Gedanken an diese endlosen Spaziergänge im Hamburger Stadtpark. Als Teenager träumte sie von Pferden. Sie sah sich als Topreiterin jeden Wettkampf
Weitere Kostenlose Bücher