Schottische Disteln
zutiefst beunruhigt und gereizt, notierte die Nummer und verabschiedete sich äußerst knapp von Mark.
»Wir bleiben auf jeden Fall in Verbindung. Ich fahre jetzt Richtung Inverness. Bitte melden Sie sich, wenn Frau Steinberg etwas von sich hören lässt.«
Dann gab er dem Fahrer den Auftrag, mit zulässiger Höchstgeschwindigkeit das Wester Ross anzusteuern und unterwegs auf einen entgegenkommenden wüstengelben Geländewagen der Firma Rover zu achten, während er selbst immer wieder und immer vergeblich Andreas Autotelefon anwählte.
XI
Die Hunde umkreisten ruhig die Herde. Sie bellten kaum, und die Schafe konnten ungestört ihr Futter aufnehmen: ein Bild tiefen Friedens an einem sommerlichen Spätnachmittag. Andrea und Ryan gingen gemächlich über die letzten Weiden vor dem Haus, und er erzählte vom Land, von den Tieren, dem Wetter und den Menschen. Andrea war verblüfft über sein Wissen, das eher einem studierten Biologen als einem Schäfer entsprach. Oder war es gerade der Schäfer, der wie kein anderer Mensch sein Land kannte? Ryan wusste eine Menge über Wildblumen und Kräuter, Vögel und Wild und über die Schafe natürlich, die ihr ganzes Leben draußen im Hochland verbringen.
»Nur einmal dürfen die Muttertiere ein Lamm haben, damit sie kräftig genug bleiben und Wind und Wetter, Hitze und Kälte hier draußen ertragen. Wir wollen ja ihr Fell und weder ihr Fleisch noch ihre Milch«, erklärte er und zeigte auf seine Herde. »Ich habe diesmal etwa neunzig Lämmer dabei. Sie sollen sich hier oben und bei verhältnismäßig warmen Temperaturen an das Leben draußen gewöhnen, bevor der Winter kommt.« Er zeigte auf einige Tiere, die an ihrem hellen Haar und an ihrer Verspieltheit als Lämmer zu erkennen waren. Auch die Größe der Muttertiere hatten sie noch nicht erreicht, aber viel fehlte nicht mehr.
»Wie lebst du im Winter, Ryan? Ich meine, persönlich, nicht die Schafe. Du hast mir erzählt, dass du hier im Norden nur im Sommer bist. Wohin gehst du danach? Hast du irgendwo eine Hütte, einen festen Wohnsitz, oder ziehst du mit der Herde umher?«
Ryan erschrak. Was sollte er über seine »Winterarbeit« sagen? Was konnte er erzählen, ohne allzu sehr zu lügen?
»Die Herden haben feste Weiden für den Winter. Die Flächen sind groß genug, um die Tiere zu ernähren. Sie ziehen nur in begrenzten Gebieten herum, und die einzelnen Schäfer können, meist sogar mit Familie, in festen Hütten wohnen.«
»Hast du auch so eine Hütte?«
»Ja, ich habe auch eine Hütte.«
»Und, entschuldige, wenn ich danach frage, wohnst du dort auch mit einer Familie?«
»Du willst wissen, ob dort eine Frau mit mir lebt? Ob ich verheiratet bin?«
»So direkt würde ich es nicht sagen. Aber irgendwie läuft meine Frage darauf hinaus«, lachte Andrea.
Ryan sah sie an. »Und weshalb willst du das wissen?«
»Es interessiert mich, wie ein Schäfer so lebt.«
»Also, meine Hütte steht in der Nähe des Dee, und ich habe einen schönen Blick auf den Fluss. Und eine Frau lebt da auch. Aber sie ist mit einem anderen Mann verheiratet und kümmert sich nur ein bisschen um die Hütte und meine Sachen.«
»So wie hier diese Linda, von der du mir erzählt hast?«
»Ja, so ungefähr.«
»Bist du da nicht sehr allein? Ich meine, immer nur die Schafe, die Hunde und eine Putzfrau?«
»Ich kann natürlich nach Lust und Laune in die Stadt fahren, Aberdeen ist nicht weit.«
»Ja, das könntest du natürlich.«
Andrea sah angestrengt in die Ferne, sie durfte unmöglich noch neugieriger sein. Eine feste Bindung hatte er anscheinend nicht, aber Bekanntschaften, weibliche Bekanntschaften in der Stadt, mit Sicherheit.
Ryan blieb stehen und sah sie an. »Was ist los, Andrea, was willst du wirklich wissen?«
Andrea zuckte mit den Schultern. »Nichts weiter, Ryan. Nur ein wenig über dein Leben. Ich meine, wir haben uns hier kennen gelernt und über so vieles unterhalten, da möchte man doch auch ein bisschen über denjenigen wissen, mit dem man sich so gut versteht.«
Ryan schmunzelte. »Da hast du natürlich Recht. Und wann fängst du an, mir zu erzählen, wie dein Leben in Hamburg aussieht und mit wem du zusammen bist?«
»Ach Ryan, jetzt artet das in ein Frage- und Antwortspiel aus. Hören wir besser auf damit. Erzähl mir doch etwas über diese wunderschönen Hunde, die du da hast. Ich kenne die Rasse nicht.«
»Es sind Collies, aber nicht mit langem, sondern mit kurzem Haar. Für die Pflege hat ein Schäfer keine Zeit,
Weitere Kostenlose Bücher