Schottische Disteln
unterwegs war, und wunderte sich im Stillen über den hartnäckigen Verehrer in Hamburg, der es nicht abwarten konnte, seine Freundin, die nur für zehn Tage verreist war, wieder zu sehen.
»Ich bin ab morgen in Schottland, ich werde einen Wagen mit Autotelefon mieten und melde mich bei Ihnen, wenn ich die Nummer weiß. Würden Sie Andrea bitte fragen, wo ich sie erreichen kann, falls sie sich meldet? Ich fürchte, ohne Ihre Vermittlung komme ich nicht sehr weit mit meiner Suche.«
»Da muss ich Ihnen leider Recht geben. Warten wir also ab, ob sie von sich hören lässt. Sie geben mir Ihre Nummer durch, sobald Sie die haben.«
Und während Andrea und Ryan das Tal erreichten und gemeinsam mit den Hunden die Schafherde zurück in den Pferch trieben, beschloss Peter Erasmus, Montag mit der ersten Maschine nach Schottland zu fliegen. Er buchte per Telefon das Flugticket, den Mietwagen und einen Fahrer, weil er mit dem Linksverkehr nicht klarkam und nicht nach Orten, sondern nach Andrea suchen wollte. Nachdem das alles geregelt war, schmeckte ihm endlich der Kalbsbraten, den Anne für das Abendessen zubereitet hatte und jetzt servieren durfte.
Als Peter am nächsten Morgen in der ersten Dämmerung aufstand, zweifelte er schon wieder an der Richtigkeit seines Vorhabens. Wäre da nicht Anne gewesen, die er nicht enttäuschen wollte, und wäre nicht die ganze Reise inzwischen festgelegt gewesen, er hätte alles abgesagt. Aber dann war da wieder der unbändige Wunsch, Andrea zu sehen, und die Angst, sie durch einen wie auch immer gearteten dummen Zufall zu verlieren. So schüttelte er zusammen mit dem eiskalten Wasser der Dusche alle Zweifel ab und zog sich an. Nicht im Nadelstreifenanzug und Seidenhemd wie sonst, sondern im Countrylook würde er auf die Suche gehen, angepasst an das Aussehen Andreas, von der er wusste, dass sie das Landleben und alles, was dazugehörte, liebte. Er besah sich im Spiegel, während er einen dünnen Schal statt der Krawatte im Hemdkragen platzierte, und stellte fest, dass er mit dem Gewicht aufpassen musste. Um die Taille herum war er sichtbar fülliger geworden, und auch im Gesicht waren die kantigen Züge leichten Rundungen gewichen. Daran war einmal Annes gute Küche schuld und dann seine eigene Bequemlichkeit. Er hielt nicht viel von sportlichen Strapazen und grünen Salaten, und die Fahrt im Mercedes war weitaus angenehmer als eine Joggingtour rund um die Außenalster.
Als er auf dem Flughafen die Maschine nach London bestieg, ging über Hamburg die Sonne auf. Rot glühend versprach sie gutes Wetter. Peter musste an einen anderen Sonnenaufgang denken, damals in Tunesien, als er auf einer Wüstensafari unterwegs war und den Sonnenaufgang vom Rücken eines Kamels aus erlebt hatte. Es war ein unvergleichliches Erlebnis gewesen, das er wohl nie vergessen würde: Sie waren mit Jeeps unterwegs und hatten in einem überraschend komfortablen Hotel mitten in der Wüste logiert. Als sie an jenem Morgen in der Dunkelheit nach draußen kamen, lagen die Kamele in einer Herde beisammen, von ihren Hirten bewacht und mit Wolldecken und Riemen gesattelt Dann wurden jedem Teilnehmer ein Kamel und ein Treiber zugeordnet, und sobald man sich, fest an das Tier geklammert, endlich hoch oben auf dem schwankenden Rücken befand, startete die Karawane in die Finsternis hinein. Bis kurz vor Sonnenaufgang war nichts zu erkennen, man spürte lediglich, dass der Weg über Sanddünen bergauf und wieder bergab führte. Und dann blieben auf dem Kamm einer solchen Düne alle stehen, und plötzlich, beinahe ohne Vorankündigung, stieg im Osten die Sonne über den Horizont, breitete ihr Licht erst zaghaft, dann kräftig und zum Schluss fast brutal und blendend über der Wüste aus.
Peter lächelte, als er an dieses wundervolle Erlebnis dachte, und bestieg die Maschine, die ihn in kürzester Zeit nach London bringen würde. Dort musste er nach Glasgow umsteigen. Natürlich wusste Peter Erasmus, dass er sich dumm und lächerlich benahm. Er war selbstkritisch genug, um zu erkennen, dass er übermotiviert war und unüberlegt handelte. Aber was konnte er tun? Sein Herz war stärker als sein Verstand und der Wunsch, Andrea zu sehen, größer als seine Vernunft. Während er im Ankunftsbereich des Glasgower Flughafens am Gepäckband auf seinen Koffer wartete, beschloss er, alle Zweifel und alle Selbstkritik beiseite zu schieben und aus dem Gefühl heraus zu handeln. Als er schließlich bei Avis nach seinem gebuchten Wagen
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