Schottische Engel: Roman (German Edition)
waren acht alte Stühle platziert, die mit ihren hohen, steifen Rückenlehnen sehr unbequem aussahen. An der Wand aber standen zwei Stühle mit Armlehnen, die sofort Marys Interesse weckten. Sie löste sich von dem Mann und ging zu den Stühlen hinüber. »Die sind ja wundervoll«, erklärte sie beeindruckt, »zwei französische Armstühle, Anfang 16. Jahrhundert. Unglaublich.«
»Sie wurden nie auf ihre Echtheit hin geprüft. Ich habe nur die Unterlagen über den korrekten Kauf, aber keine Zertifikate.«
Mary beugte sich begeistert über einen der Stühle und untersuchte mit einer Lupe die Armlehne dort, wo sich die Hand beim Aufstehen abstützt. »Die echte Patina entsteht durch die Abnutzung mit der Hand«, erklärte sie, »aber mit einem Stereomikroskop könnte man die genaue mechanisch erzeugte Abreibung bestimmen.«
»Nun sagen Sie nur nicht, Sie müssten den Stuhl anbohren, um diese Abreibungsstäubchen zu Hause zu untersuchen«, mischte sich Greta ironisch ein.
Mary antwortete nicht, sondern beugte sich zu den Stuhlbeinen herunter und kontrollierte die Füße. »Würden Sie den Stuhl einmal etwas kippen«, bat sie den Hausherrn. Und als der Stuhl nach hinten gelehnt war, untersuchte sie die Füße.
»Was gibt es denn da zu sehen?« Södergren sah interessiert zu, wie Marys Hand sorgsam über die Stellflächen glitt.
»Dieser Stuhl stand lange Zeit auf einem Fußboden, der oft mit Wasser und Seife gewaschen wurde. Man nennt diese Korrosionserscheinungen Waschpatina. Aber genaue Analysen kann man nur mit ultraviolettem Licht erstellen.«
»Noch ein Stück, von dem man dich trennen will.«
»Bitte, Greta, unterlass diese Bemerkungen. Ich will Klarheit über meine Sammlung, und wenn diese Trennungen dazugehören, dann stimme ich ihnen zu.«
»Es würde sich ja nur um wenige Tage oder Stunden handeln«, versuchte Mary die Geschwister zu beruhigen.
Södergren stellte den Stuhl wieder hin und half Mary beim Aufstehen, wobei er ihren Arm länger hielt, als es nötig war. Greta lachte, als sie das beobachtete. »Christian, die junge Dame ist gewiss sportlich genug, um ohne deine Hilfe aufzustehen.«
Aber der Hausherr beachtete seine Schwester nicht, sondern führte Mary zu einem Schrank an der gegenüberliegenden Wand. Diesmal legte er seinen Arm um ihre Taille, aber Mary blieb stehen und löste den Arm. »Danke, ich finde den Weg schon.«
Die Türen waren mit Intarsien geschmückt. »Mary, woran erkennt man, ob es sich bei den Einlegearbeiten um Handarbeiten oder Industrieprodukte handelt?«
»Einen ersten Hinweis geben mir meine Fingerspitzen«, versicherte Mary ganz ernsthaft, woraufhin Södergren nicht zögerte, ihre Finger zu ergreifen und zu küssen. »Wunderbar, es ist mir ein Vergnügen, so wertvolle Finger berühren zu dürfen.«
Mary entzog ihm erschrocken die Hand. »Bitte, wir wollen uns doch auf die Arbeit konzentrieren.« Behutsam strich sie über die Intarsien, nahm hin und wieder eine Lupe zu Hilfe und streichelte fast liebevoll die alten Türen. »Wunderschön«, sagte sie andächtig, »aber Klarheit geben uns erst mikroskopische Untersuchungen.«
»Siehst du, ich sag' es ja, du wirst dich von all deinen Möbeln trennen müssen. Das ist ja geradezu lächerlich, was hier vor sich geht.«
Jetzt war Mary wirklich empört. »Miss Södergren, ich bin hergebeten worden, um alte, wertvolle Möbel auf ihre Echtheit hin zu untersuchen, und nicht, um mir Lächerlichkeiten und Unfähigkeit vorwerfen zu lassen. Wenn Ihnen meine Arbeit nicht zusagt, bin ich jederzeit bereit, dieses Haus zu verlassen.« Und zu Södergren gewandt: »Christian, entscheiden Sie sich. Wollen Sie, dass ich weitermache oder gehe?«
Sprachlos sah der Hausherr die beiden Frauen an. »Aber ich bitte euch, wir wollen doch nicht streiten. Natürlich will ich, dass Sie weitermachen. Ich habe so lange auf einen wirklichen Experten gewartet, Sie können doch jetzt nicht gehen.«
»Dann sorgen Sie dafür, dass ich meine Arbeit machen kann, ohne mich der Lächerlichkeit auszusetzen.«
Södergren nickte. »Bitte, Greta, würdest du uns allein lassen?«
»Ich denke gar nicht daran. Einen alten Mann mit Frühlingsgefühlen und ein junges Mädchen mit noch nicht bekannten Ambitionen kann man doch nicht allein lassen. Du wolltest, dass ich dir beistehe, hier bin ich und hier bleibe ich.«
Wütend sah er seine Schwester an. »Was fällt dir ein? Ich fürchte, du hast da etwas missverstanden, Greta.«
»Oh nein, mein lieber Bruder.
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