Schottische Engel: Roman (German Edition)
mir.«
XVI
»Wahrscheinlich erinnern Sie sich nicht mehr an mich, Mister Södergren.« Mary Ashton stand auf, als der Hausherr den Salon betrat, und ging ihm ein paar Schritte entgegen. »Ich habe mich gestern in Ihrem Büro angemeldet, und man sagte mir, dass Sie mich heute empfangen würden. Oder komme ich ungelegen?«
»Nein, nein, meine liebe Miss Ashton, ich habe Sie schon so lange zu erreichen versucht. Wie schön, dass Sie nun da sind.« Södergren streckte ihr beide Hände entgegen. »Es ist schwer, Sie zu erreichen, waren Sie verreist?«
Mary nickte. »Ich war auf einer Dienstreise, und es gab Verzögerungen. Aber jetzt stehe ich zu Ihrer Verfügung. Danke für Ihr Vertrauen.«
»Was heißt ›Vertrauen‹? Und bedanken muss ich mich bei Ihnen. Ich freue mich, dass Sie sich meine Sammlung ansehen wollen, und ich fürchte Sie gleichzeitig.«
»Sie fürchten mich?« Mary sah ihn ungläubig an.
»Sie haben einen guten Ruf, und ich habe einen guten Ruf zu verlieren, wenn Sie meine Sammlungen deklassieren.«
»Aber warum sollte ich? Sie sind als kenntnisreicher Sammler sehr bekannt, ich glaube kaum, dass ich bei Ihnen Fälschungen finde, Mister Södergren.«
»Bitte, Miss Ashton, sagen Sie Christian zu mir. Ich bin der Ältere, ich darf Sie darum bitten.«
»Gern, Christian, ich bin Mary.«
»Das freut mich, Mary, wir werden einige Zeit miteinander verbringen, da ist es doch sehr angenehm, wenn eine gewisse Vertrautheit zwischen uns besteht. Darf ich Sie zu einem kleinen Drink einladen, bevor wir mit der Arbeit beginnen?«
»Wenn der Drink alkoholfrei ist, gern.«
Södergren klingelte und bestellte, als der Butler erschien, zwei frisch gepresste Grapefruitsäfte, eine Platte mit Snacks und eine Schale mit Pralinen. Aber Mary winkte dankend ab. »Ich bin hergekommen, um zu arbeiten, Christian, und nicht, um ein zweites Frühstück zu mir zu nehmen.«
»Aber man kann eine Arbeit auch genussvoll gestalten, Mary, und ich möchte auf jeden Fall, dass Sie sich hier wohlfühlen.«
»Ja, das möchte ich auch.« In der Tür stand eine ältere Dame, die dem Hausherrn außerordentlich ähnlich sah. Södergren sprang auf: »Darf ich Ihnen meine Schwester Greta Södergren vorstellen?« Auch Mary war aufgestanden und reichte der Dame die Hand.
»Guten Morgen, Miss Södergren.«
»Bitte, nehmen Sie wieder Platz. Wie ich meinen Bruder kenne, beginnt er das Arbeitsgespräch mit einer Dame immer mit einem Verwöhnfrühstück. Ich sehe, ich habe mich nicht getäuscht.« Sie lachte und beobachtete gleichzeitig den Bruder und die Besucherin. ›Sie nennen sich also schon mit Vornamen‹, dachte sie, ›mein Brüderchen hat es eilig.‹ Ohne zu fragen, ob sie vielleicht störe, setzte sie sich zu den beiden und ließ sich ebenfalls einen Saft bringen. »Sie sind also die Expertin, die mein Bruder endlich erreicht hat. Er erzählte mir von Ihren Kenntnissen, und nun kann er es kaum erwarten, seine Sammlungen Ihren kritischen Blicken zu offerieren. Ich hoffe«, sie lächelte und streichelte den Arm des Bruders, »er ist nicht zu sehr enttäuscht, wenn Sie Ihr Fachwissen sprechen lassen.«
»Warum sollte er? Herr Södergren ist ein anerkannter Sammler mit großem Fachwissen und sehr hohen Ansprüchen. Ich glaube kaum, dass irgendjemand es wagen würde, ihm wissentlich Fälschungen anzubieten.«
»Da mögen Sie recht haben, Miss Mary, ich darf doch Mary zu Ihnen sagen?«
Etwas sprachlos zuckte Mary mit den Schultern. Schließlich nickte sie. Diese Dame war so viel älter als sie und die Schwester dieses Christian Södergren, von dem sie hoffte, auf eine noch nicht bekannte Art den Titurenius-Engel zu bekommen, warum sollte sie sich da über Kleinigkeiten aufregen?
»Es ist meine Pflicht, Antiquitäten, die mir vorgelegt werden, genau zu prüfen. Ich werde dafür bezahlt, und ich bin gründlich, das bin ich meinen Auftraggebern schuldig. Und genauso werde ich hier meine Arbeit machen. Es wird heute immer schwieriger, wertvolle Exponate von Fälschungen zu unterscheiden, aber zum Glück werden die Geräte und Instrumente, die uns bei der Arbeit helfen, immer besser und genauer.«
»Sie brauchen Geräte für die Echtheitsbestimmungen?« Greta war sichtlich erschrocken und sah ihren Bruder an. »Dann wirst du mit Überraschungen rechnen müssen, mein Lieber«, stellte sie nüchtern fest.
»Warum? Meine Sammlung ist nach modernsten Richtlinien geprüft. Ich weiß, dass man sich heute nicht mehr auf Lupen und Mikroskope
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