Schrei Aus Der Ferne
Gewissen richtig gehandelt hatte; genauso wie sein Kopf und sein Bauch wussten, dass er die verpasste Gelegenheit immer bedauern würde. In seinem Leben gab es nicht gerade einen Überfluss an Liebe oder Leidenschaft.
Am Morgen nach diesem Vorfall war er dabei, Kaffee zu machen, als sie frisch geduscht, in ein Handtuch gewickelt und mit nassem Haar aus dem Badezimmer kam, nachdem sie den Rest der Nacht auf dem Fußboden verbracht hatte. Es war klar, dass sich die Dinge zwischen ihnen unwiderruflich geändert hatten.
»Letzte Nacht«, sagte er. »Worum ging’s da eigentlich?«
Keine Antwort. Sie trank ihren Kaffee, wollte keinen Toast, und als sie aufstand, um zu gehen, legte sie den Schlüssel neben ihre Tasse.
Danach wurde Kia eine Zeitlang von einem mageren Fünfzehnjährigen ausgeführt. Seit er zwölf war, hing der Junge an der Nadel, die er sich in der Regel mit seinem älteren Bruder teilte; er raubte Männer mittleren Alters aus, wenn sie auf dem Heimweg von der Arbeit in Parkplatztoiletten nach schnellem Sex Ausschau hielten.
»Ach, jetzt sind es wohl Stricher?«, hatte ein Detective Sergeant vom Revier in Penzance eines Tages in der Polizeikantine zu ihm gesagt. »Mal was ganz anderes als vollgedröhnte Schlampen.«
Cordon boxte ihn so heftig, dass er auf die Knie fiel, dann noch einmal so heftig, dass er eine gebrochene Nase davontrug.
Jetzt, da er reichlich Zeit hatte, ging er abends und morgens selbst mit dem Hund spazieren. Die CD war zu Ende, Cordon trank seinen Whisky aus und schaltete den Fernseher an, um die Nachrichten zu sehen.
Das Verschwinden der kleinen Beatrice Lawson in Ely war die dritte Nachricht nach der neuesten Arbeitslosenstatistik und dem Tod zweier britischer Soldaten, die umgekommen waren, als ihr gepanzertes Fahrzeug in Afghanistan auf eine Mine gefahren war. Cordon erkannte Ruth Lawson sofort, obwohl sie für ihn Ruth Pierce war. Jetzt war sie natürlichälter, aber auf dem Foto, das auf dem Bildschirm erschien, lächelte sie glücklich an der Seite ihrer Tochter.
Cordon erinnerte sich, wie er zuletzt auf der Parkbank in St Just mit ihr gesprochen hatte, wo die grauen Mauern der umgebenden Gebäude den grauen Tag widergespiegelt hatten. Ruth hatte Mühe gehabt, sich mit dem abzufinden, was passiert war, es überhaupt zu verstehen.
Das Mädchen war offenbar am frühen Abend mitten in der Stadt verschwunden. Es war noch hell gewesen, die Umstände waren nicht verdächtig, niemand hatte etwas gesehen, es gab keinerlei Anhaltspunkte. Außer der Tatsache, dass die Mädchen etwa gleich alt waren, gab es auch keine offensichtlichen Parallelen zu Heather Pierces Verschwinden und Tod. Nur eine.
Cordon stellte den Ton den Fernsehers ab und griff nach dem Telefon. Detective Inspector Grayson sei gegenwärtig nicht zu sprechen, wenn er seine Nummer hinterlassen wolle, würde sofort jemand zurückrufen.
»Ich muss mit dem DI sprechen«, sagte Cordon.
»Natürlich, Sir«, sagte der diensthabende Beamte. »Ich kümmere mich darum, dass Ihre Nachricht weitergegeben wird. Vordringlich.«
Wer’s glaubt, wird selig, dachte Cordon. Eigentlich sollte er keinen zweiten Whisky trinken, aber wer konnte ihm das verbieten?
48
Frank Nicholson arbeitete nachts als Wachmann auf einem kleinen Industriegelände am Stadtrand, von sieben Uhr abends bis sechs Uhr morgens. Er war neunundvierzig Jahre alt und übte diese Tätigkeit inzwischen seit zwölf Jahren aus. Meldete sich zur Arbeit, meldete sich ab. Samstagnachts und wenn er Urlaub machte, vertrat ihn der eine oder andere Student, ansonsten gehörte das Gelände ihm. War seine Domäne. Früher hatte er andere Stellen gehabt, mehr als ein Dutzend, und nichts war von Dauer gewesen, aber das hier war anders. Er war gern allein, es gab ihm die Chance zu lesen und zu denken und sein Leben zu regeln, verschaffte ihm eine Struktur.
Jeden Morgen, wenn er nach Hause kam, zog er seine Uniform aus, stellte den Wasserkocher an, um Tee zu machen, holte sich eine Schale Frühstücksflocken und schaltete den Fernseher ein. In den Lokalnachrichten wurde gerade das Foto von Beatrice Lawson in ihrer Schuluniform gezeigt. Nicholson wartete bis zum Endes des Berichts, stellte seine Schale zur Seite und griff zum Telefon.
Die Reaktionen auf die Sendung vom Vorabend – Will auf der Pressekonferenz, wie er ernsthaft in die Kamera sprach; Andrew Lawson, verzweifelt und nur teilweise verständlich – waren widersprüchlich. Ein Mädchen, das aussah
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