Schrei Aus Der Ferne
wie Beatrice, war weit entfernt in Lincoln, Newcastle upon Tyne oder anderswo gesehen worden, während eine Frau schwor, sie habe sie um kurz nach sieben im Stadtzentrum in einen Bus steigen sehen; zwei Autofahrer glaubten, auf dem Nachhausewegan ihr vorbeigefahren zu sein, beide Male nur eine halbe Meile vom Ort ihres Musikunterrichts entfernt. Dann gab es die üblichen Verrückten, die Mystiker und Wahrsager, die immer gleiche traurige und trostlose Bande, die hoffte, im Huckepack auf fremdem Unglück ins Rampenlicht zu gelangen.
Alle Anrufe, alle Informationen, wie suspekt auch immer, wurden notiert, nach Wichtigkeit geordnet und überprüft. Der Hinweis auf den Bus, der anfangs am meisten zu versprechen schien, erwies sich bereits als falsche Fährte; der Fahrer erinnerte sich sehr gut an ein Schulmädchen – es gab ein Problem mit der Fahrkarte –, aber die Schuluniform, wie er sie beschrieb, war anders, das Mädchen älter und rothaarig. Ein anderer Hinweis jedoch hielt bei genauer Befragung stand. Ein Mädchen, auf das Beatrices Beschreibung passte, war in der Nähe des Hauses des Musiklehrers gesehen worden, wie es schnell die Straße entlanglief. Zugegeben, der Autofahrer hatte das Gesicht nicht gesehen und konnte auch die Kleidung nicht detailliert beschreiben, aber sowohl der Ort als auch die Zeit waren schlüssig.
Das Mädchen war gegangen. Schnell gegangen. Aber wohin?
Als Frank Nicholsons telefonischer Hinweis einging, bekam er sofort höchste Priorität und lag um neun Uhr auf Helen Walkers Schreibtisch. Nur dreißig Minuten später holte ein Wagen Nicholson in seiner Wohnung in Ely ab und brachte ihn zur Polizei nach Cambridge. Helen kam in den Wartebereich im Erdgeschoss und ging mit ihm in ein leeres Vernehmungszimmer, nachdem sie einen jungen Beamten losgeschickt hatte, um rasch eine Dose Sprite zu besorgen – um diese Tageszeit das Getränk der Wahl ihres Besuchers, wie er auf Nachfrage gemeint hatte.
Der Mann, der ihr gegenübersaß, hatte ein fleischiges Gesicht, war aber ansonsten nicht erkennbar übergewichtig. Er war mittelgroß, mittleren Alters, Müdigkeit zeichnete sich in seinen Augen ab und auch in der Art und Weise, wie er leicht zusammengesackt an der Rückenlehne des Stuhls hing.
»Nun, Frank«, sagte Helen, »sagen Sie mir bitte genau, was Sie gestern Abend gesehen haben.«
Nicholson beugte sich vor und erzählte seine Geschichte. Wenn es jemals dazu kommen würde, wäre er ein guter Zeuge, dachte Helen.
Der Kern der Sache war folgender: Sein Weg zur Arbeit führte durch die Straße, in der Beatrice ihren Flötenunterricht hatte. Als er an die Kreuzung am Ende dieser Straße kam und bereits nach links blinkte, musste er bremsen, weil ein Auto an der Ecke parkte. Jemand saß am Steuer, die Straße war schmal, und Nicholson musste auf eine Lücke im Gegenverkehr warten, bevor er ausscheren und vorbeifahren konnte. Dabei sah er ein Mädchen neben dem Wagen stehen, das einen Flötenkasten und eine blaue Schultasche trug. Es entsprach im Großen und Ganzen Beatrices Beschreibung.
»Neben dem geparkten Wagen?«
»Ja.«
»Aber Sie haben nicht genau gesehen, wie das Mädchen einstieg?«
»Nein, nicht genau. Nicht, wie sie die Tür geschlossen hat und so weiter, dafür reichte die Zeit gar nicht, aber ich meine, sie muss es getan haben, ganz sicher.«
Er trank schnell einen Schluck von seiner Sprite und wischte sich mit der Hand über den Mund.
Helen ließ ihren Stift auf dem Block kreiseln, der vor ihr lag, und wartete, bis er zur Ruhe gekommen war. »Erzählen Sie es mir noch einmal«, sagte sie.
Nicholson räusperte sich. »Okay, wie gesagt, so wie derWagen am Randstein parkte und mit dem ständigen Strom von Gegenverkehr auf der anderen Seite, musste ich auf eine Lücke warten, um vorbeizukommen. Da habe ich sie bemerkt. Sie stand auf dem Gehsteig neben dem Wagen. Sie hatte eine Tasche unter dem Arm – sie war blau, eine blaue Tasche, ich bin mir ziemlich sicher – und etwas in der Hand, das wie ein Instrumentenkasten aussah.«
»Was tat sie?«
»Sie stand da. Stand einfach da.«
»Sprach sie mit der Person im Wagen?«
»Nicht in diesem Augenblick. Wenigstens glaube ich das.«
»Und haben Sie ihr Gesicht gesehen?«
»Nicht deutlich. Nicht in diesem Moment. Aber als ich ausscherte, um vorbeizufahren, beugte sie sich zum Wagen hinunter. Da habe ich es gesehen.«
»Und es war das gleiche Gesicht, das Sie heute Morgen in den Nachrichten gesehen
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