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Schrei Aus Der Ferne

Schrei Aus Der Ferne

Titel: Schrei Aus Der Ferne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harvey
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Fußballen. Die sind scheußlich.« Er sah auf. »Ich vermute mal, Sie sind nicht zum Zeitvertreib hier.«
    »Meine Kollegin«, sagte Cordon. »würde gerne hören, wie das war, als Sie damals das Mädchen gerettet haben.«
    Gibbens sah ihn scharf an und zog das Handtuch straff. »Nein. Das ist gar nicht, was Sie hören wollen. Es geht um das andere Mädchen. Heather. Sie wollen wissen, was ihr passiert ist.«
    »Warum sagen Sie das?«, fragte Helen.
    »Weil das nie ordentlich geklärt wurde, richtig? Sie is’ im Dunkeln in das alte Maschinenhaus gestolpert und hat da tagelang gelegen. Da steckt mehr dahinter.«
    »Glauben Sie das?«
    »Er glaubt’s. Fragen Sie ihn.«
    »Und Sie? Was ist mit Ihnen?«
    »Was ich glaube, is’ egal. Ich bin nur ’n alter Kauz, der ganz allein lebt.« Er legte sich das Handtuch wieder um den Hals und zog seine Schuhe an, die aussahen wie zwei linke. Seine Hosenbeine waren immer noch hochgekrempelt.
    »T.   S.   Eliot«, sagte er. »Bei dem kommt das vor: mit aufgerollten Hosenbeinen wie ein Krebs am Strand rumlaufen. Kommen Sie mit nach oben und ich mach uns Tee.«
     
    Im Inneren war die Hütte dunkel und schmuddelig und wirkte unordentlicher als bei Cordons letztem Besuch: Auf fast allen Flächen stand Krimskrams, irgendwelches Strandgut, und hier und da lagen auf dem Boden alte gebundene Bücher, deren Seiten fleckig und wellig waren, als hätten sie im Salzwasser gelegen. An der einen Seite stand auf einer Metallkiste ein altes Grammophon mit Kurbel, mehrere kleine Stapel von zerkratzten und angeschlagenen Schallplatten lagen daneben.
    »Setzen Sie sich«, sagte Gibbens und zeigte mit einer ausholenden Bewegung auf eine Auswahl von klapprigen Stühlen. »Setzen Sie sich.«
    Aber als Helen das tun wollte, fauchte sie eine schwarze Katze mit einem eingerissenen Ohr an und zeigte ihre Krallen.
    »Keine Manieren«, sagte Gibbens, hob das Tier in die Höhe und scheuchte es nach draußen. »Sie wird alt, das ist das Problem. Ist auch nicht an Besuch gewöhnt.«
    »Haben Sie noch Ihre Ziegen?«, fragte Cordon.
    »Nur noch zwei. Sie sind irgendwo draußen an der Klippe.«
    »Ich glaubte schon, der Gemeinderat hätte Sie inzwischen von hier vertrieben.«
    Gibbens lachte und stellte den Kessel auf einen kleinen Gaskocher. »Haben sie auch versucht. Bis dieser Anwalt sich dafür interessiert hat. War darauf aus, sich einen Namen zu machen, schätze ich, und hat damit gedroht, sie vor die Menschenrechtskommission zu bringen und alles Mögliche.« Er lachte noch einmal, ein raues gackerndes Lachen, das Helen so unangenehm war wie das Geräusch von quietschender Kreide auf einer altmodischen Schultafel.
    Der Tee war fertig: schwarz und stark.
    »Es gibt Zucker, wenn Sie wollen«, sagte Gibbens. »KeineMilch.« Er kicherte. »Tut mir leid, aber der Milchmann hat mal wieder vergessen vorbeizukommen.«
    Eine Weile saßen sie da und lauschten auf die Brandung und den melismatischen Schrei der Möwen, die über ihnen kreisten. Wenn ich hier leben müsste, dachte Helen, ganz allein, nur mit ein paar Tieren, würde ich auch verrückt werden. Wenn er es denn war.
    »Sie haben recht«, sagte Cordon, »wir interessieren uns dafür, was Kellys Freundin passiert ist. Als die beiden sich verlaufen haben. Im Nebel.«
    Gibbens sagte nichts, summte vor sich hin, Fetzen einer alten, weitgehend vergessenen Melodie.
    »Sie waren da draußen, als der Nebel einsetzte.«
    »War ich das?«
    »Das müssen Sie sagen.«
    Gibbens schüttelte den Kopf. »Ich war hier drinnen. Saß genau da, wo Sie jetzt sitzen. ›Schuld und Sühne‹, erinnern Sie sich? Teil drei, Kapitel sechs. Raskolnikow schwitzt Blut und Wasser, weil er glaubt, die Polizei verdächtigt ihn als Mörder.«
    »Und tut sie das?«
    »Tut sie das nicht immer?«
    »Zu Recht oder zu Unrecht?«, fragte Helen.
    »Will ich nicht sagen. Wär doch schade, alles zu verraten und zu sagen, wie’s ausgeht.«
    Der hat wirklich einen Knall, dachte Helen. Einen Knall, wie er im Buche steht.
    »Ich war draußen«, sagte Gibbens plötzlich. »Da war der Nebel noch nicht so dick, jedenfalls nicht hier unten. Aber am Pfad war es die reinste Suppe. Bin dann ein Stückchen weitergegangen, aber es wurde so schlimm, dass ich nicht die Hand vor Augen sehen konnte. Da bin ich wieder in die Hütte gegangen. Hab den Nebel draußen gelassen.«
    »Warum sind Sie überhaupt hinausgegangen?«, fragte Cordon.
    »War neugierig, schätze ich mal.«
    »Das war alles?«
    »Das und der

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