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Schrei Aus Der Ferne

Schrei Aus Der Ferne

Titel: Schrei Aus Der Ferne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harvey
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Lärm.«
    »Lärm?«
    »Jemand hat gerufen.«
    »Was denn? Einen Namen? Oder um Hilfe?«
    »Einen Namen. Glaube ich wenigstens.«
    »Welchen Namen?«
    »Weiß ich nicht genau, nicht hundertprozentig.«
    »Kelly?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Heather?«
    »Könnte sein. Kann ich aber nicht genau sagen.«
    »Aber wenn Sie es gehört haben?«, sagte Helen.
    »Was ich gehört habe, war so etwas wie ein Name. Die Art, wie es gesagt wurde. Wie jemand, der einen Namen ruft.«
    »War es nur eine Person, die rief? Eine Stimme?«
    »Vielleicht auch zwei.«
    »Zwei?«
    »Erst die eine, dann die andere. Aber nicht gleichzeitig. Eine lauter als die andere.«
    »Welche?«
    »Die erste.«
    »Könnte eine davon die Stimme eines Mädchens gewesen sein?«, fragte Helen.
    »So hat es nicht geklungen. Nein.«
    »Als Sie dieses Rufen hörten«, sagte Cordon, »was haben Sie da gemacht? Zurückgerufen?«
    Gibbens schüttelte den Kopf.
    »Irgendetwas anderes getan?«
    »Nein.«
    »Und warum haben Sie das früher nicht erwähnt?«
    Gibbens sah auf den Boden, auf seine Füße, die in zwei linken Schuhen steckten. »Hab nicht geglaubt, dass es wichtig ist. Leute verlaufen sich im Nebel und rufen. Das is’ alles.«
    »Eine von denen, die sich verlaufen haben, landete bewusstlos in Ihrem Bett«, sagte Cordon mit harter Stimme. »Die andere wurde tot aufgefunden. Ich halte das für wichtig, Sie nicht?«
    Jetzt sah Gibbens ihn an. »Hätte aber nix geändert, oder?«
    »Nein?«
    »Sie wär immer noch tot.«
    »Ich frage Sie noch einmal: Warum haben Sie uns das damals nicht gesagt?«
    Gibbens sah wieder weg. »Wollte nicht noch weiter da reingezogen werden.«
    »Ist das alles?«
    »Was denn sonst?«
    »Vielleicht fühlten Sie sich ja schuldig?«
    »Warum denn?«
    »Ich weiß nicht. Weil Sie geschwiegen haben. Weil Sie nicht früher Hilfe geleistet haben. Weil Sie glaubten, Heather Pierce könnte noch am Leben sein, wenn Sie es getan hätten.«
    Gibbens’ Gesicht war plötzlich völlig ausdruckslos. »Hab schon einen Tod auf dem Gewissen. Brauche nicht noch einen.«
    Helen sah zu Cordon hinüber, aber der schüttelte den Kopf.
    »Kellys Vater ist losgegangen, um sie zu suchen, bevor er uns gerufen hat«, sagte Cordon. »Ihr Bruder auch. Könnten es die beiden gewesen sein, die Sie gehört haben? Vater und Sohn?«
    »Gut möglich.«
    Cordon setzte seine Tasse ab, er hatte kaum etwas von dem Tee getrunken. »Francis, wir gehen jetzt. Danke für Ihre Zeit. Danke für den Tee.«
    Gibbens nickte kaum merklich und machte keine Anstalten, sie zur Tür zu bringen. Draußen war der Himmel immer noch so klar und blau wie vorher.
    »Sein Sohn«, sagte Cordon, »hat sich das Leben genommen. Hat sich aufgehängt.«
    »Der arme Kerl.«
    »Ja.«
    »Glauben Sie, dass er sich deshalb zurückgezogen hat?«
    »Wäre ein plausibler Grund, finden Sie nicht auch? Je mehr man über ein solches Ereignis nachdenkt, desto schuldiger fühlt man sich, schätze ich. Und da scheint es dann keine schlechte Idee zu sein, sich von der ganzen verdammten Menschheit zu isolieren.«
    Er marschierte mit großen Schritten los, und Helen zog den Reißverschluss ihres Anoraks zu, damit er nicht flatterte, und folgte ihm.

58
     
    Es war fünf Tage nach Beatrice Lawsons Verschwinden, der fünfte Morgen, und er war weniger neblig als der vorherige. Will hatte keine Zeit für seinen Morgenlauf. Dort, wo er saß, in dem ersten von zwei Wagen, die etwa in der Mitte von Padnal Fen an der Seite einer schmalen Landstraße parkten, konnte er sehen, wie das Licht den Horizont im Osten zu durchbrechen begann und die Konturen des Landes langsam Gestalt annahmen. Der ehemalige kleine Hof, den Simon Pierce neun Monate zuvor gekauft hatte, hatte fast ein ganzes Jahr leer gestanden, nachdem der vorherige Besitzer seinen wachsenden Schulden, der Einsamkeit und der herben Natur des Landes zum Opfer gefallen war. Abgesehen von einigen standhaften Bäumen auf der Nordseite war das gedrungene viereckige Haus dem Wind ungeschützt ausgesetzt: Mit ein paar dichtgedrängten Nebengebäuden stand es ganz allein, weit und breit waren keine anderen Behausungen zu erblicken. In einem dieser Nebengebäude, stellte Will sich vor, war das Fahrzeug abgestellt, das auf Simon Pierce zugelassen war: ein grauer Toyota Corolla. Kein grüner Corsa, aber das wäre auch zu viel des Guten gewesen. Noch waren Beamte damit beschäftigt, die Liste aller in der Grafschaft ansässigen Personen zu überprüfen, die einen Vauxhall

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