Schrei Aus Der Ferne
Vergleich zu Muswell Hill ein rauerer Teil von London, der noch nicht zu wissen schien, ob es aufwärts oder abwärts mit ihm ging. Zwar gab es eine Buchhandlung und einen neuen Bioladen, aber auch Ketten wie Greggs und Iceland, wo es nur Tiefkühlkost gab, und einen Billigladen, wo jeder Artikel ein Pfund kostete; außerdem jede Menge Wohltätigkeitsläden. Aber wie Simon argumentierte, waren sie näher an Ruths Schule, nah an der U-Bahn und ganz wichtig: Für Londoner Verhältnisse gab es relativ viele halbwegs anständige Oberschulen. Und wenn es ihnen nicht gelang, einen Platz für Heather an der Camden School for Girls oder an La Sainte Union zu ergattern, kamen auch ein paar Gesamtschulen infrage.
»Bist du sicher, dass du nichts willst?«, fragte Simon und goss sich Wein nach.
»Ja.«
Nachdem sie eingezogen waren, hatten sie zunächst die Seitenwand einreißen und einen Anbau an die Küche errichten lassen. So war ein großzügiger Küchen- und Essbereich entstanden. Dann frische Farbe für die Wände. Natürlich hatte auch das Badezimmer eine Erneuerung nötig – und Simon wollte unbedingt ein Badezimmer mit Zugang vom Schlafzimmer –, aber all das konnte warten. Für den Augenblick waren sie zufrieden.
»Vielleicht sind wir ja zu streng«, sagte Simon. »Vielleicht ist es unfair, dass wir ihr diese Reise nicht erlauben.«
»Wir?«
»Ja, du weißt schon. Das Machtwort, das wir gesprochen haben. Es ist schließlich nur eine Woche.«
»Zehn Tage.«
»Genau. Was sind schon zehn Tage? So lange war sie auch schon mit deinen Eltern im Lake District. Länger.«
Ruth konnte ihr Erstaunen kaum verbergen. »Ich dachte, wir wären übereingekommen, dass das hier nicht das Gleiche ist.«
Vor ein paar Tagen war Heather übersprudelnd vor Begeisterung nach Hause gekommen und hatte erzählt, dass Kelly, ihre neueste beste Freundin, ihre Eltern gefragt habe, ob sie – Heather – mit ihnen zum Camping nach Cornwall kommen könne, und Kellys Eltern hätten gesagt: Ja natürlich, je mehr wir sind, desto lustiger. Ruth hatte zwiespältig darauf reagiert, Simon allerdings war kurz davor gewesen, einen Anfall zu bekommen.
»Der Gedanke, dass sie sich mit diesem Mädchen anfreundet, gefällt mir absolut nicht, wie du weißt, aber die Vorstellung, dass sie mit der ganzen verdammten Familie verreist …«
»Hör mal, Simon«, hatte Ruth gesagt. »So schlimm sind sie nun auch wieder nicht.«
»Ach, nein? Madame ist eine dicke fette Gebärmaschine, die nie ohne Zigarette im Mund herumläuft und aussieht, als ob sie gleich platzt …«
»Sie ist wirklich nett …«
»Und er lebt entweder von einer Behindertenrente oder trägt auf die eine oder andere Weise zur Schattenwirtschaft bei …«
Ruth konnte sich das Lachen einfach nicht verkneifen. »Soweit ich weiß, hat er eine ganz und gar anständige Arbeit als Bauarbeiter. Und sieht nicht im Mindesten behindert aus.«
Die Wahrheit war, dass es eine ganze Reihe von netten, gut erzogenen Mädchen in Heathers Klasse gab, bei denen eine Menge Bücher zu Hause auf den Regalen standen, die Klavierunterricht hatten oder Flöte spielten, zu den Pfadfindern gingen und für die frische, kurz angebratene Nudeln mitBiohühnchen und Biogemüse selbstverständlicher waren als ein Big Mac mit Pommes frites. Das waren natürlich die Mädchen, die sich Simon und Ruth als Umgang für Heather wünschten. Aber stattdessen hatte sie Kelly erwählt, zumindest in den letzten paar Monaten.
Also hatten sie beide – ohne allzu deutlich zu werden und ihr Missfallen in Worte zu kleiden – ihr Bestes getan, um die sich entwickelnde Freundschaft im Keim zu ersticken. Tee nach der Schule und gelegentlich ein gemeinsamer Spieltag waren gerade noch hinnehmbar, aber sosehr Heather auch bettelte und jammerte, Übernachtungen bei der Freundin waren ausgeschlossen.
Und jetzt war die Frage des Campingurlaubs aufgetaucht.
»Hast du deine Meinung wirklich geändert?«
Simon lächelte. Mehr ein Grinsen als ein Lächeln. »Mir ist aufgegangen, dass ich noch ein paar Urlaubstage habe. Du hast ja sowieso frei. Wenn Heather in Cornwall ist, könnten wir doch nach Paris fahren. Vielleicht noch weiter. Avignon. Montpellier. Nur wir zwei. Was meinst du?«
Auch Ruth lächelte jetzt. »Und dafür bist du bereit, ein Opfer zu bringen und deine einzige Tochter dieser Kelly und ihrer Mischpoke zehn Tage lang zu überlassen?«
»Ja, ich glaube schon«, sagte Simon und lehnte sich
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