Schrei Aus Der Ferne
wussten, was sie tat – das wäre nicht nur unverantwortlich, sondern würde sie auch noch ein kleines Vermögen kosten.
»Komm doch mit nach unten«, sagte Ruth.
»Wozu denn?«
»Wir möchten mit dir reden.«
»Was habe ich jetzt schon wieder angestellt?«
»Nichts. Wir möchten nur mit dir reden, das ist alles.«
»Du redest doch jetzt mit mir.«
»Dein Vater und ich. Komm schon. Sei vernünftig und komm mit.«
Heather stieß einen satten Seufzer aus, hievte sich vom Bett und folgte Ruth nach unten.
Simon sah von seiner Zeitung auf.
»Hallo Schatz.«
Heather sah ihn missmutig an.
»Worum es geht«, sagte Ruth. »Was wir sagen wollten … also, in Wirklichkeit fragen wollten … diese Ferien mit Kelly in Cornwall, möchtest du immer noch mitfahren?«
»Hm, ja-a.« Heather riss die Augen auf.
»Also, wir haben uns gedacht … vielleicht waren wir ein bisschen … ich weiß nicht … ein bisschen übervorsichtig und …«
»Und ich darf mit?«
»Ja. Das heißt wahrscheinlich. Fast sicher. Wir müssen das natürlich mit Kellys Eltern besprechen …«
»Oh, Mum! Mum, das ist super! Genial!« Und sie legte die Arme um Ruth und drückte sie fest.
»Es war dein Vater«, sagte Ruth, als Heather sie losließ. »Du solltest dich bei ihm bedanken. Es war seine Idee.«
»Wirklich?« Heather sah zweifelnd zu ihrem Vater hinüber.
Simon setzte sich auf und lächelte. »Ich bin ja kein Unmensch. Jedenfalls nicht immer.«
Er streckte seine Arme aus, Heather ging auf ihn zu und wandte ihr Gesicht zur Seite, damit er sie auf die Wange küssen konnte.
»Wir müssen natürlich mit Kellys Eltern reden. Um alles zu arrangieren. Um zu klären, ob sie immer noch einverstanden sind.«
»Klar sind sie das.«
»Ich weiß, ich weiß. Aber trotzdem müssen wir mit ihnen sprechen.«
»Oh Dad.«
»Was ist?«
»Ach, es ist nur …« Sie schwenkte ihren Kopf herum. »Ich rufe jetzt Kelly an und sage es ihr.«
»Meinst du nicht, dass ich zuerst mit ihrer Mutter reden sollte?«, sagte Ruth, aber Heather war schon weg.
Ruth seufzte. »Hoffentlich ist es richtig.«
»Vier Tage in Avignon. Das Essen. Der Wein. Zwischendurch ein bisschen Kultur. Vielleicht kriegen wir noch was vom Rest des Festivals mit.«
»Das meine ich nicht.«
»Komm schon, Ruthie.« Er streckte beide Hände aus. »Was ist das Schlimmste, das passieren kann? Sie stopft sich mit zu viel Eis und mit Fish and Chips voll, kommt mit einer Vorliebe für die ›EastEnders‹ zurück und beendet jeden Satz mit ›is’ doch wahr‹.«
»Mein Gott, du bist ein richtiger Snob!«, sagte Ruth lachend.
»Du natürlich nicht?«
Lächelnd drückte sie seine Hände.
»Du schaust bei ihnen vorbei, in Ordnung?«, sagte Simon. »Und redest mit ihnen. Wir brauchen ja nicht beide zu gehen.«
»Sie sind doch nicht ansteckend.«
»Bist du bereit, darauf zu wetten?«
»Worauf soll sie wetten?«, fragte Heather von der Tür aus.
»Nichts.«
»Ich habe mit Kelly geredet. Sie sagt, es ist cool. Wir können Mitternachtspartys und Feuer am Strand zum Grillen machen, und Kelly sagt, jeden Abend kommt ein Lieferwagenmit tollen Pizzas, und ihr Bruder hat ein Surfbrett, das er uns vielleicht leiht, und ich könnte vielleicht Kellys Neoprenanzug ausleihen, weil sie einen neuen bekommt, und … du hörst gar nicht zu, oder?«
»Doch, natürlich.«
»Nein, tust du nicht. Du stehst da nur und siehst benebelt aus.«
»Ich freue mich, das ist alles.«
»Worüber denn?«
»Für dich.«
»Du bist ganz schön komisch«, sagte Heather und schnitt ein Gesicht.
Zwei Tage später machte Ruth sich nach der Schule gemeinsam mit Heather auf den Weg. Mrs Efford – Pauline, der Vorname war Ruth gerade noch rechtzeitig eingefallen – kam an die Tür, ihr Jüngstes klammerte sich an sie wie ein winziges Buschbaby. So wie ihre Kleider herabhingen, war nicht auszuschließen, dass sie schon wieder schwanger war.
»Ruth. Prima, kommen Sie herein. Ich stelle Wasser für eine Tasse Tee auf.«
»Oh, nein. Nicht extra für mich.«
»Null problemo. Ich wollte sowieso welchen machen.«
Die Diele war mit Buggys und Rollern und Fahrrädern unterschiedlicher Größe vermint und roch nach Frittierfett und Zigarettenrauch. »Was hast du erwartet?«, fragte Simon, als sie später davon erzählte. »Eau de Givenchy und Walnussöl?«
Ein Mädchen von fünf oder sechs saß vor dem Fernseher, das Gesicht ganz nahe am Bildschirm, und sah eine
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