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Schrei Aus Der Ferne

Schrei Aus Der Ferne

Titel: Schrei Aus Der Ferne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harvey
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und deshalb behielt er dieses Wissen für sich.
    Als die Mutter des Mädchens ihm einen Becher Tee anbot, nahm er dankbar an.
    Städter, dachte er, der Fluch seines Lebens: Sie kamen aus London oder Birmingham oder sonst woher und hatten keinen Schimmer, wo sie waren und was sie taten; sie wanderten in die Moore hinauf oder an den Klippen entlang, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass das Wetter innerhalb von Minuten umschlagen konnte, achteten nicht darauf, wie der Boden unter ihren Füßen beschaffen war. Er hatte schon Frauen in hochhackigen Schuhen gesehen, die sich auf dem Küstenpfad den Fuß verstaucht hatten und mitder Winde geborgen werden mussten   – dumme Dinger, die Cordon ihrem Schicksal überlassen hätte, wenn es nach ihm gegangen wäre. Sollten sie doch alleine zurückhumpeln!
    »Danke, zwei Stück Zucker, bitte. Wunderbar.«
    Heute Nacht würde es spät werden und am Morgen in aller Frühe wieder losgehen, und Cordon hoffte bei Gott, dass es am Ende gut ausgehen würde. Die Eltern des einen Mädchens waren informiert worden und auf dem Rückweg aus dem Ausland   – nur Gott wusste, welche Qualen sie durchlitten.
     
    Wenig von dem, was die Pierces im Verlauf ihrer Reise sagten, hatte einen Zusammenhang, ihre Gedanken waren angsterfüllt, ihre Gespräche brüchig wie alte Knochen. Ruth war es gelungen, einmal mit Alan Efford zu sprechen, wobei die Verbindung ständig unterbrochen worden war: Heather und Kelly waren gemeinsam mit Lee zum Schwimmen aufgebrochen; nach einer Art Streit war Lee allein zurückgekehrt, dicker Nebel war schnell vom Meer herangekommen, und die beiden Mädchen waren verschwunden. Mehr war nicht zu erfahren.
    Der erste verfügbare Flug von Charles de Gaulle startete mit lediglich zwanzig Minuten Verspätung, aber schon kaute Simon an seinen Fingernägeln. Ruth wich seinem Blick aus, weil sie ihn nicht noch nervöser machen und reizen wollte. Sie wollte auch nicht in eine weitere schmerzliche und sinnlose Diskussion über das Geschehene einsteigen, in eine weitere Litanei von Schuld und Anklage. In ihrem Herzen drückte sie Heather an sich und flüsterte unhörbar Worte, um sie vor Schaden zu bewahren.
    Über Gatwick kreiste das Flugzeug mit quälender Langsamkeit, während es auf einen Slot zum Landen wartete.
    Als sie endlich am Boden waren und den Zoll passiert hatten,misslangen alle Versuche, neue Nachrichten zu erhalten; beide Telefone auf dem Campingplatz schienen unentwegt besetzt zu sein, und Alan Effords Handy war entweder ausgeschaltet oder hatte keinen Empfang.
    Als er die Formulare am Schalter der Autovermietung ausfüllte, machte Simon zweimal einen Fehler, riss das Formular schließlich in zwei Hälften und musste von vorn anfangen.
    »Soll ich es vielleicht machen?«, fragte Ruth.
    »Nein!«, schrie Simon sie an. »Ich will nicht, dass du es machst, verdammt noch mal. Warum besorgst du uns keinen Kaffee? Tu zur Abwechslung mal was Nützliches.«
    Eine halbe Stunde später waren sie auf der Straße. Vorausgesetzt, dass ihnen keine erheblichen Verzögerungen bevorstanden, dass sie sich beim Fahren abwechselten und so wenig wie möglich anhielten, müssten sie in sechs oder sieben Stunden da sein. Am frühen Nachmittag oder etwas später.
    Ruth probierte es noch einmal mit Alan Effords Handy, aber wieder ging keiner ran.
     
    Das Wetter am Morgen war der reine Hohn: Es war hell und klar, der Himmel von einem perfekten Sonntagsmaler-Blau; die Inseln vor Cape Cornwall stachen deutlich hervor und nicht die kleinste Spur vom Nebel des Vortags war geblieben.
    Der Mann, der in die Rettungsstation oberhalb von Sennen Cove kam, war lediglich mittelgroß, weder jung noch alt, und sein vom Wetter mitgenommener Anorak, seine wasserdichten Hosen und sein Südwester unterschieden ihn überhaupt nicht von Dutzenden anderer.
    Einen Augenblick stand er nur da, unsicher und bescheiden, und der Rettungsmann erwartete eine Frage über die Gezeiten oder dergleichen.
    Zuerst sprach er leise und undeutlich, nuschelte, als hätte er kleine Steine im Mund: etwas über zwei vermisste Mädchen.»Diese Suche«, fuhr der Mann mit lauterer Stimme fort, »diese vermissten Mädchen   – Sie sind nicht   … haben Sie… haben Sie damit zu tun?«
    »Eigentlich nicht. Nicht direkt.«
    »Ach so. Nur dass   … nur dass ich weiß   … wo eine von denen is’.«
    Der Rettungsmann sah den anderen neugierig an, unsicher, ob er ihm glauben sollte, aber trotzdem war sein Interesse

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