Schrei Aus Der Ferne
zu sein, dass sie an der Stelle gestorben ist, wo sie gefunden wurde.«
Cordon atmete hörbar ein. »Ich würde die Kleider trotzdem gerne zur forensischen Untersuchung schicken.«
»Wozu in Gottes Namen?«
»Sie machen da diese Tests. Ich dachte, Sie haben vielleicht schon mal davon gehört. Blut, Sperma, Speichel.«
Lamberts Gesicht lief rot an, er war halb aufgestanden und zeigte mit dem Finger auf Cordon. »Kommen Sie mir nicht so, Sie sarkastischer Scheißkerl!«
Wie nett, dachte Cordon. »Wenn sich nichts daraus ergibt«, sagte er, »und alle Tests negativ sind, umso besser. Wir haben nichts zu verlieren.«
»Außer einem Brocken von meinem Budget, den zu verlieren ich mir nicht leisten kann.«
Cordon fixierte ihn mit einem Blick. »Ach, darum geht’s. Das Geld? Tod durch Unfall ist insgesamt billiger.«
»Scheiße, Cordon. Es gibt nicht die geringsten Anzeichen für eine Straftat, nichts, was die Beteiligung einer weiteren Person überhaupt nahelegt.«
»Noch nicht.«
»Jesus. Jesus Christus. Sie geben einfach nicht auf.«
»Das ist mein Job.«
Lambert hielt sich den Kopf mit beiden Händen und sah aus wie ein Mann, für den der nächste Drink in allzu weiter Ferne lag.
»In Ordnung«, sagte er schließlich, »schicken Sie die Kleidung hin. Auch wenn’s eine verdammte Verschwendung von Zeit und Geld ist.«
»Ja, Sir. Danke, Sir.« Cordon gelang es nicht ganz, das Lächeln zu verbergen, das seine Mundwinkel umspielte.
»Und Cordon … Trevor …«
»Jimmy?«
»Das nächste Mal, wenn Sie so mit mir reden wie heute, stecken Sie wieder in Ihrer Scheißuniform!«
18
Wie immer staute sich die Arbeit bei der Kriminaltechnik. Die Zeit schien in die Warteschleife zu gehen. Die Temperatur stieg: fünfundzwanzig Grad Celsius, siebenundzwanzig, achtundzwanzig. Der Wind kam mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von sechs Meilen pro Stunde aus östlicher Richtung. Selbst nachts waren es vierzehn, fünfzehn Grad: fast unmöglich zu schlafen.
Zum x-ten Mal drehte sich Simon Pierce im Bett um, das Kissen war feucht, das Laken klebte an ihm wie eine zweite Haut. Als er schließlich aufgab, war es zwanzig vor fünf, und von draußen sickerte bereits Licht ins Zimmer. Er nahm einen Schluck direkt aus dem Wasserhahn, spülte sich den Mund und spuckte aus.
Nachdem sie lange zum Einschlafen gebraucht hatte, lag Ruth jetzt auf dem Rücken, den Kopf auf die Seite gelegt, und ein kleines Pfeifen begleitete jedes Heben und Senken ihrer Brust.
Am Abend vorher hatten sie nach einem mittelmäßigen Abendessen und zu viel Wein heftig über die Beerdigung ihrer Tochter gestritten, hätten sich fast geprügelt. Simon vertrat ganz entschieden die Meinung, dass eine Einäscherung das einzig Vernünftige wäre. Das Vernünftigste und Beste. »Wir nehmen ihre Asche, Ruthie. Begraben sie im Garten, pflanzen vielleicht einen Baum. Oder verstreuen sie an einem Ort, den sie geliebt hat, wenn du glaubst, das ist besser.«
Aber für Ruth war eine Einäscherung ein Gräuel: Sollte Heathers Körper, verletzt und gebrochen wie er schon war, ins Feuer gehen, während sie in einer seelenlosen Kapellestanden und zusahen, wie der Sarg langsam verschwand? Sie wollte, dass ihre Tochter begraben würde, nicht auf einem Friedhof, sondern auf einer Wiese oder im Wald, umgeben von Blumen und Bäumen. Eine grüne Beerdigung. An einem schönen Ort voller Leben.
»Was denn?«, hatte Simon gesagt. »Glaubst du, das ist besser? Glaubst du, das macht einen Unterschied?«
»Ja.«
»Sie wird verwesen, Ruthie, das wird passieren. Zerfall und Verwesung. Tief unten in der Erde, bis du nicht mehr weißt, wo zum Teufel sie ist.«
»Nein!« Ruth hatte beinahe geschrien. »Nein, wird sie nicht. Das wird nicht passieren.« Das glaubte sie mit Herz und Seele.
Als Simon jetzt dastand und auf sie hinabsah, rollte sie sich auf die Seite, bewegte sich und öffnete blinzelnd die Augen.
»Was machst du?«
»Nichts. Ich wollte vielleicht einen Spaziergang machen.«
»Wie spät ist es?«
»Es geht auf fünf zu.«
Ruth setzte sich auf, die Kissen im Rücken, das Laken über ihren Brüsten. Simon spritzte sich am Waschbecken Wasser ins Gesicht, kämmte sich die Haare, schickte sich an, die Zähne zu putzen.
»Warum fährst du nicht nach London zurück?«, sagte sie. »Es gibt keinen Grund, dass wir beide hierbleiben. Nicht mehr.«
»Dann komm doch mit.«
»Ich kann nicht. Da ist doch die gerichtliche Untersuchung.«
»Das kann noch
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