Schrei Aus Der Ferne
hier weg.«
»Halt stopp. Das war ein Witz.«
»Blöder Witz.«
»Ich sag gar nichts. Will es nicht wissen, ist mir egal.«
»Okay.«
Während Cordon Brot schnitt und vier Scheiben unter den Grill legte, dann Marmelade und Erdnussbutter aus dem Schrank und Margarine aus dem Kühlschrank nahm,wanderte Letitia herum und warf einen flüchtigen Blick auf dies und das.
Cordons Wohnung war ein ehemaliges Loft zur Segelfertigung und bestand im Prinzip aus einem einzigen langen Raum mit einer Küche an dem einen Ende und einem Bett am anderen, nur Toilette und Bad waren abgetrennt. Breite Fenster gewährten ihm einen ungehinderten Ausblick auf die Bucht.
»Was ist das?«, fragte Letitia und hielt eine CD hoch, die keine Hülle mehr hatte. »Lohnt es sich, das zu hören, oder was?«
»Hängt davon ab«, sagte Cordon.
»Wovon?«
»Probier’s doch aus.«
Die CD hatte er am Abend des Tages gespielt, an dem Heather Pierces Leiche gefunden worden war: Das verschärfte Kreischen von Eric Dolphys Saxophon hatte seiner Stimmung entsprochen, allerdings dazu geführt, dass sich der Hund tief unters Bett verkrochen und die Pfoten über die Ohren gelegt hatte.
Letitia legte die CD auf und schaltete nach wenigen Momenten aus.
»Wie zum Teufel nennen Sie das?«
»Musik?«
Sie aß hungrig, schmierte sich die Marmelade dick auf den Toast, warf Cordon hin und wieder einen Blick zu, als forderte sie ihn heraus, sie auszuschimpfen, weil sie die Brotrinde nicht ganz aufaß.
»Ich geh dann mal.«
»Hier«, sagte er und griff in eine der Schubladen. »Du nimmst am besten einen Schlüssel mit, denn wahrscheinlich gehe ich weg. Du kannst ihn auch gleich behalten, es ist ein Ersatzschlüssel.«
»Vertrauen Sie mir oder was?«
»Sollte ich das nicht tun?«
Sie sah sich um. »Gibt nicht viel zu klauen hier.«
Als sie und der Hund außer Hörweite waren, stellte er die Musik wieder an, aber leise. Sie war ein nettes Mädchen, Letitia, und er mochte sie. Ihre Mutter war eine Drogenabhängige, ihren Vater bekam sie selten, wenn überhaupt zu sehen, zwei Brüder in Pflegefamilien, mehrere Mitglieder der erweiterten Familie auf Bewährung oder im Gefängnis – es war ein kleines Wunder, dass sie nicht in noch größeren Schwierigkeiten gewesen war. Aber bislang hielt sie sich über Wasser, sie hatte überlebt.
Heather Pierce war gestorben.
Gute Eltern, ein solides bürgerliches Zuhause, eine gute Schule; seriöse Zeitungen, Bücher, nicht zu viel Fernsehen, höchstwahrscheinlich auch Klavierunterricht, Kunstkurse, Bio-Nahrungsmittel; ein Aufwachsen mit den richtigen Werten. Alle Privilegien: jede Hoffung.
Und dann das.
Ein Unfall.
Unvorhergesehen.
Ein Unfall, war es das? War es wirklich ein Unfall gewesen?
…
nicht die geringsten Anzeichen für eine Straftat, nichts, was die Beteiligung einer weiteren Person überhaupt nahelegt.
Lambert war darauf bedacht, die Sache als Unfall abzuwickeln, und das Letzte, was er an diesem Punkt seiner Karriere am Hals haben wollte, war ein unentdeckter Mord, und trotzdem war Cordon nicht fähig und nicht willens, den Fall auf sich beruhen zu lassen. Er hatte die wichtigsten Zeugen vernommen, als da waren: an vorderster Stelle Francis Gibbens, Kelly Effords Eltern, ihren Bruder Lee,Kelly selbst – in Anwesenheit ihrer Mutter hatte er behutsam mit ihr gesprochen. Als Kelly von Heathers Tod erfuhr, hatte sie geschluchzt und geschluchzt, dann hatte sie sich verschlossen und nicht mehr gesprochen, nicht mehr gegessen. Der behandelnde Arzt hatte es für das Beste gehalten, sie noch im Krankenhaus zu behalten, allein schon zu ihrer eigenen Sicherheit.
Cordon sprach mit dem Studenten, der Heathers Leiche entdeckt hatte, und mit den Mitgliedern des Suchtrupps, die zuvor in den Schlacht hineingeleuchtet und nichts gesehen hatten – sie schworen Stein und Bein, dass sie sorgfältig vorgegangen seien und nichts entdeckt hätten. Was sollten sie auch sonst sagen? Etwa, dass sie hastig Lampen in die Tiefe hinabgelassen und die Höhlung nur nachlässig abgesucht hätten? Das wäre auf eine grobe Pflichtvernachlässigung hinausgelaufen, die sie keinesfalls zugeben würden.
Stundenlange Befragungen und nichts Relevantes: nur dieses Gefühl, das er nicht abschütteln konnte. Und bei alledem hatte er Lambert, der kurz davor war, Cordon von dieser Ermittlung abzuziehen, permanent übergangen.
Gott, dachte Cordon, war es zwischen ihnen zu einem Machtkampf gekommen? Musste er, obwohl alles so
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