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Schrei Aus Der Ferne

Schrei Aus Der Ferne

Titel: Schrei Aus Der Ferne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harvey
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bevor die Autopsie zeigen würde, dass Paul Careys Magen eine gewisse Menge nur teilweise verdauter Schlaftabletten enthielt, sedativ/hypnotische Barbiturate in ausgewogener Mischung.
     
    Will sprach mit Paul Careys Vater Michael, als dieser aus Northumberland kam, um die Leiche zu identifizieren.
    »Linda hat sich nie für uns erwärmt, wissen Sie«, sagte Carey. »Linda. Ach, sie war höflich. Sehr korrekt. Legte Wert auf gute Manieren, wenn Sie verstehen, was ich meine. Aber keine Wärme. Nein   …« Er ballte seine Hand zur Faust und schlug sich über dem Herzen auf die Brust. »Da schlug nichts. Jedenfalls nicht für mich.«
    Sie gingen ein paar Schritte die Straße entlang.
    »Ich habe sie einmal darauf angesprochen, ganz direkt, und sie ist nicht ausgewichen, das muss ich ihr lassen. ›Es ist deinetwegen‹, sagte sie. ›Die Art und Weise, wie du mit Paul umgehst. Als könnte er nie etwas richtig machen. Als wäre er nie gut genug. Nicht für dich. Und er ärgert sich darüber, das weiß ich genau, aber er hat nicht den Mumm, es zu sagen. Und das ist auch deine Schuld.‹«
    Er schüttelte den Kopf, und sein Atem ging schneller.
    »Ich weiß noch, dass wir einmal in Ferien waren, als Paul noch ein Kind war. Es muss in Schottland gewesen sein, an der Westküste. Talisker vielleicht oder Struan, irgendwo da. Jemand hatte ein Seil angebracht, und nacheinander schwangen die Jungen daran über das Wasser von der einen Seite der Felsen zur anderen. Sie riefen und schrien vor Vergnügen, das können Sie sich ja vorstellen. Hatten einen Riesenspaß. Das Geschrei wurde noch lauter, wenn einer von ihnen den Halt verlor und ins Wasser fiel.«
    Er blieb stehen und sah Will an, während er abzuwägen schien, ob er fortfahren sollte oder nicht.
    »Paul muss zehn gewesen sein«, sagte er. »Höchstens elf. Etwa ein Jahr jünger als die meisten dieser Jungen, aber mehr nicht. ›Na los‹, sagte ich. ›Mach doch mit. Stell dich in die Schlange.‹ Er wollte nicht. Er hatte Angst. ›Schisser‹, sagte ich. Und er muss die Verachtung in meinem Gesicht bemerkt haben.«
    Sie gingen weiter, Carey mit den Händen hinter dem Rücken, sehr aufrecht.
    »Man sagt Sachen   … und später wünscht man, man hätte sie nie ausgesprochen. Man würde alles tun, um die Worte rückgängig zu machen, aber das geht natürlich nicht. Man muss damit leben, und die anderen müssen es auch.«
    »Ja«, sagte Will. »Ja, ich weiß.« Er dachte an die Situationen, in denen er die Geduld mit Jake verloren hatte, oftmalsohne Grund, an die Worte, die aus ihm herausgeplatzt waren und die er am liebsten gleich wieder verschluckt hätte.
    »Hatten Sie eine Ahnung«, sagte Will, »wie es zwischen Paul und Linda stand?«
    Der ältere Mann schüttelte den Kopf.
    »Und die Tatsache, dass Paul sich offenbar das Leben genommen hat   …«
    »Das ist unglaublich«, sagte Carey heftig. »All das. Das Ganze ist einfach unglaublich.«
    Nach einer Weile begleitete Will Carey zu der Stelle, wo er seinen Wagen geparkt hatte.
    »Wird es eine gerichtliche Untersuchung geben?«, fragte Carey.
    »Oh ja.«
    »Wenn Sie etwas herausfinden   …«
    »Werden Sie informiert.«
    Carey nickte und sie schüttelten sich die Hand. Dann wartete Will, bis er losfuhr.

25
     
    Helen Walker brauchte gut dreißig Minuten, um nach Huntingdon zu kommen, wo der fünfjährige Carl jetzt bei Bill und Barbara Connors lebte, seinen Großeltern mütterlicherseits. So hatte es die Sozialbehörde entschieden. Ohne die vermaledeiten Bauarbeiten auf der A14 wäre sie schneller angekommen.
    Es war eine zweistöckige Doppelhaushälfte in der Nähe des Stadtzentrums, und sie war schon einmal dort gewesen, ohne viel zu erreichen allerdings. Von den einfachsten Fragen abgesehen hatte Bill Connors alles seiner Frau überlassen, die viel zu erschüttert gewesen war, um zusammenhängend zu antworten. Dieses Mal hoffte Helen auf mehr.
    Barbara Connors hielt einen Finger an die Lippen, als sie die Tür öffnete. Sie war eine gepflegte kleine Frau mit ovalem Gesicht und leicht ergrauten Haaren.
    »Carl schläft, er ist gerade eingeschlafen. Ich versuche, ihn nachmittags ein wenig hinzulegen, wenn es klappt. Ich möchte nicht, dass er aufwacht.« Sie zeigte auf den hinteren Teil des Hauses. »Wenn wir dorthin gehen, stören wir ihn nicht.«
    Ein kleiner Wintergarten war hinten an die Küche angebaut worden, und dort hatte Barbara Connors gesessen und gelesen. Ihre Brille lag noch auf einem dicken

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