Schrei Aus Der Ferne
Taschenbuch neben einem der beiden Korbstühle.
»Bill ist Golf spielen gegangen, er meinte, das macht Ihnen nichts aus.«
»Natürlich nicht. Das ist in Ordnung.«
»Er geht zweimal die Woche, seit er pensioniert ist. Immermit denselben drei Freunden. Wenn es aus irgendeinem Grund nicht klappt, sitzt er nur da und bläst Trübsal.«
Helen nickte verständnisvoll.
»Trinken Sie etwas Tee? Das Wasser ist schon am Kochen.«
»Ja, danke, das wäre sehr nett.«
Die verdammte Höflichkeit ging ihr auf den Geist.
Helen blieb allein zurück und sah in den Garten hinaus, der teilweise gepflastert war. Eine Gruppe kleiner Rosen neigte sich zur Seite über den Zaun des Nachbarn; ein kleiner Vogel, den sie nicht bestimmen konnte, badete sich energisch in einem Vogelbad aus Stein; späte Tomaten hingen schwer vom Spalier herab.
»In den letzten paar Wochen war es so heiß«, sagte Barbara Connors, als sie mit einem Tablett zurückkehrte. »Wenn man nicht morgens und abends alles wässert, verdorrt es und stirbt ab.«
Sie stellte das Tablett vorsichtig auf einem Glastisch ab: Teekanne, Tassen, Untertassen, Zucker, Milchkännchen. Drei verschiedene Sorten Kekse, fächerförmig auf einem Teller ausgelegt.
»Sie sehen etwas ramponiert aus«, sagte Barbara Connors, als sie Helen den Tee reichte.
»Ach?« Helen legte instinktiv die Hand ans Gesicht, wo eine Prellung hoch an ihrer linken Wange nicht ganz mit Schminke verdeckt werden konnte und jetzt langsam von Gelb zu Lila überging. »Das ist nichts.«
Die ältere Frau lächelte. Ihre Handrücken waren ein wenig geschwollen, bemerkte Helen, als hätte sie Arthritis oder so etwas. Davon abgesehen sah sie fit und gesund aus. Rüstig. Ende sechzig, schätzte Helen, was dieser Tage keineswegs alt war. Aber war sie jung genug, um einen kleinen Jungen großzuziehen?
»Wie macht sich Carl?«, fragte sie.
Zuerst glaubte Helen, Barbara Connors hätte sie nicht gehört.
»Er weint viel«, antwortete sie schließlich. »Aber das ist natürlich nicht anders zu erwarten. Er ruft immer wieder nach Mummy und Daddy.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, dass er versteht, was passiert ist. Nicht richtig, nein.«
Helen nickte und wartete darauf, dass sie fortfuhr. Der Tee war schwach und leicht parfümiert, Earl Grey gemischt mit einer normalen Sorte.
Barbara Connors setzte ihre Tasse ab. »Wir haben alle seine Spielsachen aus dem Haus hergebracht, sein Kinderbett, alles, und haben es nach oben ins Gästezimmer gestellt. Wir dachten, das würde ihm gefallen.« Sie beugte sich vor und zog ein Papiertaschentuch aus der Tasche. »Er geht nicht nach oben. Er weigert sich. Was wir auch tun. Wir haben versucht, ihn hinaufzutragen, Bill und ich zusammen, aber er hat gezappelt und getreten und versucht, uns zu beißen. Deshalb haben wir ihm vorerst hier unten ein Bett gemacht. Wir wussten uns keinen anderen Rat. Die Sozialarbeiterin sagt, dass es ihm mit der Zeit besser gehen wird, dass er sich einleben wird. Das Schlimmste, was wir tun können, sagt sie, ist, ihn zu heftig zu drängen.« Sie verdrehte das Taschentuch zwischen ihren Fingern. »Dort hat er sie gefunden, seine Mummy – unsere Tochter –, auf der Treppe.«
Helen lächelte verständnisvoll und spürte, dass noch mehr kommen würde.
»Sie wollten immer ein Kind haben, eigentlich gleich, nachdem sie geheiratet hatten, wissen Sie. Ich weiß nicht, wo das Problem lag, Linda hat es nie deutlich gesagt. Aber sie gingen zu Ärzten und so weiter, das weiß ich. Sie haben sogar über In-vitro-Fertilisation gesprochen, haben alles darüber gelesen, waren in einer Klinik und was nicht alles, aber amEnde haben sie sich dagegen entschieden. Ich habe nie genau erfahren, warum.«
Sie hob ihre Teetasse, trank aber nicht.
»Sie hatten beide anstrengende Berufe, ich denke, das war einer der Gründe. Sie haben auch beide gut verdient, und ich glaube, dass sie nach einer Weile beschlossen, sich keinen Kummer mehr zu machen, sondern das zu genießen, was sie hatten. Reisen, das mochten sie. Ägypten, Amerika, die Bahamas. Ich dachte, sie würden vielleicht ein größeres Haus kaufen und umziehen, aufs Land, wissen Sie. Aber nein, sie schienen zufrieden zu sein, wo sie waren. Und Linda hielt das Haus immer in Ordnung – sie hatte natürlich Hilfe, denn sie hat ja voll gearbeitet –, aber so war Linda: alles ordentlich und an seinem Platz.«
Sie machte eine Pause und trank einen Schluck Tee.
»Die beiden schienen den
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