Schrei Aus Der Ferne
Gedanken an Kinder aufgegeben zu haben. Linda sprach nie wieder mit mir darüber, jedenfalls nicht so, wie sie es früher getan hatte, und dann war sie plötzlich schwanger. Ich weiß gar nicht, wer überraschter war. Es war ein Schock für alle beide. Ich meine, Linda hatte aufgehört, Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen, Sie wissen schon, das war ja nicht notwendig, aber trotzdem …« Sie lächelte. »Es ändert alles, nicht wahr? Besonders wenn man daran gewöhnt ist, zu tun, was man möchte und wann man es möchte. Ein Baby. Die Unabhängigkeit ist mit einem Schlag vorbei.«
»Dann haben sie sich also nicht nur darüber gefreut?«
»Oh doch. Das haben sie. Natürlich. Sie waren überglücklich. Besonders Paul. Ich meine, Linda hat Carl geliebt, bestimmt, sie war seine Mutter, das ist doch ganz natürlich. Aber Paul – er war völlig vernarrt in das Kind. Er setzte sich hin und spielte stundenlang mit ihm. Er las ihm auch immer vor – diese Bilderbücher, wissen Sie – und trug ihnauf den Schultern herum. Es war wunderbar, wunderbar zu sehen …«
Sie wandte ihr Gesicht ab. Helen wusste, dass sie weinte, sie brauchte die Tränen nicht zu sehen.
Barbara Connors stand schnell auf und drehte sich zur Seite. »Ich sehe mal nach, ob mit Carl alles in Ordnung ist.«
Momente später hörte Helen das Spritzen von Wasser am Waschbecken der Gästetoilette. Ein paar Häuser weiter wurde ein Rasenmäher angestellt. Sie griff nach der Teekanne, goss sich nach und nahm Milch.
»Der arme Schatz«, sagte Barbara Connors, die im Türrahmen stand, »er hat sich kaum gerührt. Diese ganze furchtbare Geschichte hat ihn schrecklich mitgenommen.«
»Ich habe mir Tee nachgeschenkt«, sagte Helen. »Ich hoffe, das ist in Ordnung?«
»Ja, natürlich.«
»Möchten Sie auch?«
Barbara Connors schüttelte den Kopf und setzte sich wieder. »Ich sollte ihn lieber demnächst wecken. Wenn er jetzt zu lange schläft, kann er am Abend nicht einschlafen.«
Zeit, die Dinge voranzutreiben, dachte Helen. »Was Paul und Linda betrifft – bevor diese schreckliche Sache passiert ist, gab es da irgendwelche Spannungen zwischen ihnen? Über das normale Maß hinaus, meine ich.«
»Nein. Nein, ich glaube nicht.«
»Keine größeren Streitigkeiten? Uneinigkeit?«
»Nicht, dass ich wüsste.«
»Und Sie hätten es gewusst – wenn da etwas Ernsthaftes gewesen wäre?«
»Ja. Ja, ich denke schon.«
»Standen Sie sich nahe, Sie und Linda?«
»Oh ja.«
»Sie haben miteinander telefoniert und so weiter?«
»Ja. Ständig. Und zweimal in der Woche bin ich hingefahren, montags und freitags, um auf Carl aufzupassen, wenn keine Vorschule war.«
»Und mit Paul? Haben Sie sich mit ihm verstanden?«
»Ja.«
»Und es gab nichts …«
Barbara Connors schüttelte den Kopf.
Helen beugte sich ein wenig vor. »Mrs Connors, ich frage Sie das nicht gerne, aber ist es möglich, dass Linda sich mit jemand anderem getroffen hat?«
»Getroffen …? Sie meinen, ob sie eine Affäre hatte?«
»Ja.«
»Guter Gott, nein!«
Helen war überrascht von der Deutlichkeit ihrer Antwort.
»Sie scheinen ganz sicher zu sein.«
»Das bin ich auch.«
»Sogar schockiert.«
»Ich nehme an … Nein, nicht schockiert, jedenfalls nicht auf die Art und Weise, die Sie wahrscheinlich meinen. Ich weiß, dass so etwas passiert. Das war schon immer so. Es ist nur …« Verlegen zog sie an den Falten ihres Rockes. »Linda – es ist nicht so, dass sie nicht an, Sie wissen schon, an Sex interessiert war, es ist mehr … nun, soweit ich das verstanden habe, hatten sie – sie und Paul – eine ganze Weile, bevor Carl geboren wurde, nicht … Du meine Güte, ich drücke mich wirklich nicht sehr gut aus, oder?«
»Sie hatten kein sehr aktives Sexualleben«, bot Helen hilfreich an.
»Ja, das stimmt. Und deshalb war Carl – als er dann schließlich kam – eine so wunderbare Überraschung.« Ein weiteres Ziehen an den widerspenstigen Falten ihres Rocks. »Sie waren im Urlaub. Ägypten. Um die Zeit, wissen Sie, zu der Carl gezeugt wurde.«
»Vielleicht hatte es mit der Sonne zu tun«, sagte Helen. »Diese Nachmittagshitze.«
»Ich fürchte, ich …«
»Tut nichts zur Sache. Eine leichtfertige Bemerkung. Entschuldigung.«
Barbara Connors zwang sich zu einem Lächeln.
»Wie war es denn später?«, fragte Helen. »Nachdem Carl auf der Welt war. Hat sich etwas geändert? In dieser Hinsicht? Wollten sie vielleicht ein zweites
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