Schrei Aus Der Ferne
und in die Knie gehen.
»Ärger?«, rief eine Stimme von hinten. Vernon Lansdale stand mit dem Wagenheber in der Hand an der Tür zur Werkstatt.
»Schon vorbei«, sagte Will.
Roberts atmete schwer: ein abgerissenes Keuchen.
»Christine Fell«, sagte Will und beugte sich zu ihm. »Juni 2000. Vor etwas über acht Jahren. Sollten Sie sich nicht mehr an ihren Namen erinnern.« Er richtete sich auf. »Sie kann sich an Sie erinnern.«
Roberts grinste und zeigte ihm seinen abgebrochenen Zahn. Will konnte sich gerade noch zurückhalten, ihm mit dem Stiefel ins Gesicht zu treten.
»Sie lügen doch.«
»Ach, wirklich?«
»Dann beweisen Sie es. Beweisen Sie es einfach.«
Will beugte sich noch näher. »Das werde ich. Da ist auch noch Rose Howard. Waren Sie das? Erinnern Sie sich an Rose?«
Roberts’ Gesichtsausdruck verriet nichts.
»Janine Prentiss, was ist mit ihr? Die kleine Janine. Ich habe sie neulich getroffen. Sie ist erwachsen, verheiratet, hat selbst Kinder. Sie hat Sie bestimmt auch nicht vergessen, da können Sie sicher sein. Janine. Ich werde noch einmal mit ihr sprechen.«
Jetzt war Roberts’ Grinsen mehr oder weniger verschwunden.
Will starrte ihn noch einen Augenblick an, dann drehte er sich um.
»Gehört die Werkstatt Ihnen?«, fragte er Lansdale, der immer noch an der Tür stand und zusah.
»Das is’ meine.«
»An Ihrer Stelle würde ich mir überlegen, wen ich einstelle.«
Als er wieder im Wagen saß, streckte Will die Finger seiner rechten Hand. Er schob ›Blondie Greatest Hits‹ ein, eine alte CD, die Lorraine ihm mal gekauft hatte, und drehte die Lautstärke auf.
›Heart of Glass‹.
35
Ruth mochte den Dienstag. An diesem Tag musste sie ihre Tochter nicht von der Schule abholen, sondern überließ es Fionas Mutter, beide Mädchen mitzunehmen. Sie fuhren zu Fiona nach Hause, tranken Tee und wurden danach zum Flötenunterricht gebracht. Dann holte Ruth – oder gelegentlich auch Andrew – Beatrice ab, wenn die Stunde zu Ende war. Dieses Arrangement schenkte ihr zwei Stunden, manchmal mehr, die sie für sich selbst hatte.
Häufig machte sie einen kleinen, nicht allzu anstrengenden Spaziergang am Fluss, genoss die Weite und bekam einen klaren Kopf. Manchmal, wenn das Wetter besonders schön war, setzte sie sich aber auch in den Garten des Cafés bei der Kathedrale und las. Heute hatte sie ein Buch von Philip Roth aus der Bibliothek mitgenommen, aber sie fand die Lektüre etwas mühselig, um die Wahrheit zu sagen. Sie stand auf keinen Fall im Einklang mit ihrer Kanne Tee und dem Scone mit Marmelade und dicker Sahne. Nach ein paar weiteren Seiten legte sie es weg.
Eine Weile blieb sie einfach noch so sitzen, dann nahm sie ihre Tasche und machte sich auf den Nachhauseweg.
Dort angekommen, sah sie nach, ob es Nachrichten auf dem Anrufbeantworter gab – keine –, sammelte verschiedene ihrer Kleidungsstücke zusammen und legte sie in den Korb für die schmutzige Wäsche, vergewisserte sich, dass genügend Nudeln für das Abendessen da waren, und setzte sich dann nach einem Blick auf die Uhr an den Computer, um ihre E-Mails durchzusehen.
Ruth beförderte all die unerwünschten Angebote in den Papierkorb und arbeitete sich schnell durch den Rest. Catriona wollte wissen, ob sie nach London fahren und ein neues Stück im National Theatre sehen wollte; ein Studienkollege lud sie ein, mit einigen anderen etwas trinken zu gehen; ihre Mutter, die das Internet spät entdeckt hatte, erinnerte sie daran, wie lange Ruths letzter Besuch im Norden her war.
Ich könnte schwören, dass ich meine Enkelin nicht wiedererkennen würde, wenn ich sie nicht bald sehe
.
Ruth antwortete kurz – ja, vielleicht in den nächsten Schulferien – und wickelte die Antwort in ein paar verbindliche Sätze über Beatrices Erfolge in der Schule ein.
Sie wollte sich schon wieder abmelden, als sich mit dem Geräusch eines Korkens, der aus der Flasche gezogen wird, eine neue Nachricht ankündigte. Andrew hatte dieses Signal installiert und bislang hatte sie es nicht geschafft, es zu ändern.
Den Namen des Absenders konnte sie nicht zuordnen, aber der Betreff war:
Beatrice
.
Ruth bewegte die Maus und öffnete die Mail. Bilder von Beatrice erschienen auf dem Bildschirm, eins nach dem anderen.
Beatrice – wo war das? – auf dem Weg zur Schule. Das musste es sein. Beatrice in Ely mit einer Freundin auf einer Straße, die Ruth nicht sofort erkannte. Beatrice mit gebauschtem Rock auf
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