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Schrei Aus Der Ferne

Schrei Aus Der Ferne

Titel: Schrei Aus Der Ferne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harvey
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konfrontieren.«
    »Vielleicht.«
    Helen warf ihren Becher in den Papierkorb neben dem Schreibtisch. »Sei vorsichtig, Will.«
    »Vorsichtig?«
    »Egal, was du empfindest, Schuldgefühle oder etwas anderes. Roberts darf nicht zu einer Obsession werden.«
    »Dafür hältst du es?«
    »Möglich.«
    Will lächelte. »Obsessionen überlass ich dir. Die sind eher deine Spezialität als meine.«
    »Glaubst du?«
    »Wie geht es Declan denn so in letzter Zeit?«
    Er ging, ohne auf ihre Antwort zu warten.
     
    Mitchell Roberts überprüfte den Druck auf dem neuen Reifen und vergewisserte sich, dass die Radmuttern fest angezogen waren, bevor er den Wagenheber absenkte. Es war kurz vor vier, noch gut zwei Stunden bis Feierabend. Er wischte sich die Hände an der Vorderseite seines Overalls ab, verließ die Werkstatt und nahm ein Päckchen mit Zigarettenpapier und einen Beutel mit Tabak aus der Brusttasche.
    Der gute Vernon Lansdale mochte es nicht, wenn er rauchte, aber der konnte ihn mal. Nicht dass Vernon einen Aufstand machen würde, es sei denn, er hatte an diesem Tag auf noch mehr falsche Pferde gesetzt als normal. Eigentlich ein anständiger Kerl, jedenfalls wenn man ihm nicht in die Quere kam, und es machte ihm auch nichts aus, Exknackis Arbeit zu geben. Solange sie sich anstrengten. Und das tat Roberts.
    Größtenteils waren es ja auch keine komplizierten Sachen: abgefahrene Reifen, kaputte Auspuffe. Hin und wieder was am Motor, das ließ Vernon ihn auch machen. Gab nicht viel bei Autos und Lastern, was Mitchell Roberts nicht in Ordnung bringen konnte, das sagten praktisch alle. Als er nochden Laden bei Rack Fen gehabt hatte, vor dieser Sache mit dem Mädchen, hatten die Leute ihn ihre Traktoren und alles Mögliche anschauen lassen, Scheißmähdrescher und was nicht alles, und meistens hatte er es auch hingekriegt. Und er verlangte dafür auch kein Vermögen, wie andere.
    Er zündete die Selbstgedrehte an und behielt den Rauch tief in den Lungen.
    Dieses scheißverfluchte kleine Ding, dieses Mädchen.
    Sie hatte die ganze Zeit auf Teufel komm raus mit ihm geflirtet. Und sie hatte auch nix dagegen, begrapscht zu werden, wenn sie glaubte, sie würde dafür was umsonst kriegen, ’ne Flasche Brause oder so ’n bunten Schokoladenbonbon.
    Sie hatte ihn aufgegeilt, nix anderes.
    Sie hatte ihn echt aufgegeilt.
    Na ja, er hatte es ihr gezeigt.
    Sich auch.
    Er hatte seine Lektion gelernt. Gefängnis. Dahin wollte er nicht zurück.
    Er wollte gerade wieder in die Werkstatt gehen, als er Will Grayson auf sich zukommen sah.
    »Warten Sie.«
    »Kann nicht. Muss wieder an die Arbeit.«
    Will stellte sich ihm in den Weg. »Wenn Sie fünf Minuten Pause machen können, können Sie auch zehn machen.«
    »Sagt wer?«
    »Wollen Sie meinen Ausweis sehen?«
    Scheißschlauberger, dachte Roberts.
    »Läuft es gut?«, fragte Will.
    »Die Arbeit?«
    »Was sonst?«
    Roberts hatte sich die Haare wachsen lassen, seit Will ihn das letzte Mal gesehen hatte. Sie waren dunkel an den Wurzeln, rotblond im Nacken und wo sie sich um seine Ohrenkringelten. Seine Zähne waren lang und gelb und hatten Nikotinflecken.
    »Sie haben ausreichend Geld und viel freie Zeit«, sagte Will.
    »Das sagen Sie.«
    »Um halb sechs sind Sie fertig? Um sechs?«
    »Ungefähr.«
    »Noch viel Zeit, bis es dunkel wird.«
    Roberts machte Anstalten, sich an ihm vorbeizuschieben.
    »Wiggenhall, wie weit ist das weg? Fünfzehn, zwanzig Minuten Fahrt?«
    Roberts starrte ihn an. Aus kleinen harten Augen.
    »Hübsche Gegend. Den Fluss entlang. Wiggenhall St Peter. Wiggenhall St Mary Magdalen. Wiggenhall St Germans. Wiggenhall St Mary the Virgin. Alles sehr fromm.«
    Roberts blinzelte.
    »Dahin haben Sie sie gebracht, richtig? Nach Wiggenhall St Mary. Jedenfalls haben Sie sie dort zurückgelassen. In der Scheune hinter der Brücke. Sie war elf Jahre alt, stimmt’s? Elf Jahre alt.«
    »Leck mich!«
    Wieder wollte er sich vorbeischieben und Will packte seinen Arm.
    »Leck mich? Leck mich? Elf Jahre alt und Sie haben sie da zurückgelassen, gefesselt mit Ballendraht, mit Blut und Scheiße an den Beinen und immer noch in ihren schönsten blauen Ausgehschuhen.«
    »Verfick dich!«
    »Sie mochten das, nicht wahr? Hat Sie angemacht? Ein Fick in blauen Schuhen!«
    Für einen Augenblick blitzte Angst in Roberts’ Augen auf, und ohne überhaupt nachzudenken, versetzte Will ihm einen mächtigen Faustschlag auf die Brust, direkt unterhalbdes Brustbeins. Der Schlag ließ Roberts zurücktaumeln

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