Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schrei Aus Der Ferne

Schrei Aus Der Ferne

Titel: Schrei Aus Der Ferne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harvey
Vom Netzwerk:
den Kopf.
    »Sie wollte Sie nicht beunruhigen, nehme ich an.«
    »Beunruhigen?«
    »Ich habe ihr gesagt, dass ich gerne mit Ihnen sprechen würde   …«
    »Worüber?«
    »Über den Mann, der Sie vor so vielen Jahren entführt hat   … Ich würde Ihnen gerne ein paar Fotos zeigen   …«
    In ihren Augen flackerte etwas.
    »Um festzustellen, ob Sie ihn vielleicht erkennen.«
    »Nein. Nein, dazu können Sie mich nicht zwingen.«
    Hinter der Theke klapperte etwas; Christine hatte so laut gesprochen, dass man sie hören konnte.
    »Das können Sie nicht machen.« In ihrer Stimme war Panik.
    Sorgfältig legte Will die Fotografien, drei an der Zahl, zwischen die Teekanne und den Zuckertopf auf den Tisch: Mitchell Roberts zweimal im Profil und einmal von vorn, wie er in die Kamera starrte und aller Ausdruck aus seinen Augen gewichen war.
    »Ich schau nicht hin«, sagte Christine, aber natürlich tat sie es doch. Sie konnte gar nicht anders.
    »Nehmen Sie sich Zeit«, sagte Will. »Denken Sie nach. Es ist wichtig. Erkennen Sie diesen Mann?«
    »Nein«, sagte sie atemlos. »Nein, nein.«
    »Christine   …«
    Blindlings warf sie sich nach vorn, fegte mit dem Arm die Fotos vom Tisch, Tassen und Untertassen gleich mit. Sie zersprangen scheppernd am Boden.
    »Gehen Sie weg! Gehen Sie weg! Lassen Sie mich in Ruhe!«
    Sie hielt ihren Mantel mit den Händen zusammen und war auf halbem Weg zur Tür, als diese sich öffnete und ihre Mutter eintrat. Alice Fell wirkte energisch und in ihrem Gesicht zeichneten sich Wut und Sorge ab.

34
     
    »Um Gottes willen, Will! Was hast du dir dabei gedacht?«, sagte Helen.
    Sie waren in Wills Büro, es war später Vormittag, die Tür war geschlossen. In einem hellbraunen Rock und einer gut sitzenden Stoffjacke sah Helen frisch und munter aus. Sie hatte zwei Becher Kaffee aus dem nächstgelegenen Caffè Nero mitgebracht, die unbeachtet auf Wills Schreibtisch standen und kalt wurden.
    »Was ich mir dabei gedacht habe?«, sagte Will. »Dass ich meine Arbeit mache?«
    »Meinst du? Eine extrem verunsicherte Zeugin ohne Einwilligung ihrer Eltern zu vernehmen   …«
    »Sie ist achtzehn. So gut wie neunzehn. Erwachsen. Komm schon, Helen, ich brauche keine Einwilligung der Eltern.«
    »Achtzehn und in psychiatrischer Behandlung, oder habe ich das falsch verstanden?«
    Will schüttelte den Kopf. »Ich war gerade eine ganze Stunde oben, wo der Chef mir die Eier abgebissen hat   – ich kann wirklich nicht gebrauchen, dass du das auch noch machst.«
    Helen lachte. »Das hatte ich eigentlich nicht im Sinn.«
    »Sehr witzig.« Aber er lächelte trotzdem, griff nach einem der Kaffeebecher und machte den Deckel ab.
    »Also, wie ist es oben gelaufen?«, fragte Helen. »Hast du noch einen Job?«
    »Ist gerade noch mal gut gegangen. Aber möglicherweise habe ich eine Klage wegen Belästigung am Hals.«
    Helen grinste. »Zu schade. Ich hatte gehofft, du würdest zumindest suspendiert werden und meine Zeit als DetectiveInspector wäre gekommen. Kommissarisch. Ich hätte zu gern an deinem Schreibtisch gesessen.«
    »Das wird schon noch kommen.«
    »Wär nur gut, wenn das vor meiner Pensionierung passiert, das ist alles.« Sie nahm sich den zweiten Kaffeebecher und trug ihn zum Fenster hinüber. Wieder ein grauer Tag. Typisch East Anglia. »Als du ihr die Fotos gezeigt hast   – ich nehme doch an, dass du es getan hast, die Fotos von Roberts   –, was hat sie da gesagt?«
    »Gar nichts.«
    »Sie hat ihn nicht erkannt?«
    »Sie schrie und kreischte. Wollte nicht hinsehen. Aber sie hat ihn garantiert erkannt.«
    »Das wird nie als Beweismaterial zugelassen, das weißt du ja. Nichts davon. Und solltest du sie je dazu bewegen können, in den Zeugenstand zu treten, was unwahrscheinlich ist, wird sie in Stücke gerissen.«
    »Ich weiß.«
    Helen trat vom Fenster zurück. »Die ganze Sache hätte schon vor Jahren erledigt werden müssen.«
    »Wem sagst du das?«
    »Aber warum ist es nicht passiert? Ich meine, wenn Roberts auch nur für einen dieser Fälle verantwortlich war. Wir hätten das rauskriegen müssen. Ihn verhören sollen, als wir die Gelegenheit dazu hatten. Anstatt ihn so leicht davonkommen zu lassen.«
    »Tja   …« Will schob seinen Stuhl zurück und stand auf. »Wir haben’s vermasselt. Ich hab’s vermasselt. Was soll ich sonst noch sagen?«
    »Will   …«
    »Was?« Er griff nach seiner Jacke.
    »Du willst mit ihm sprechen, stimmt’s? Mit Roberts. Du willst ihn damit

Weitere Kostenlose Bücher