Schrei in der Nacht
mich nur, was aus ihren
beiden Söhnen geworden ist.«
»Die Gegend hier fördert so den Appetit,
daß sie die beiden wahrscheinlich nicht länger satt bekommen
konnte.«
Fallon trank schmunzelnd seine Tasse Tee und trat dann
hinaus in den leuchtenden Morgen. Zwei oder drei weiße Wolken
segelten über den blauen Himmel, und Fallons Gesicht badete in der
Wärme der Sonnenstrahlen. Langsam schlenderte er hinüber zum
Kuhstall und trat ein. Seine Nase schnupperte vergnügt den alten
vertrauten Geruch von Tieren und Stroh. Er brummte vor sich hin,
daß doch nichts auf der Welt an den Geruch eines Kuhstalls
heranreiche.
Hannah saß auf einem Schemel und war beim
Melken. Als er herankam, schaute sie über die Schulter
zurück: »Sie kennen doch das Sprichwort ›Ein Bauer
bleibt immer ein Bauer‹!«
Er trat heran und lehnte sich über die
Stallbarriere neben ihr. »Da ist schon etwas dran«, gab er
zu. »Die Freuden des Landlebens sind die einzig echten auf der
Welt.«
Sie lachte grimmig. »Ja, ja, an einem Tag wie heute, mit
weißen Wolken und einem blauen Himmel! Aber kommen Sie
einmal im Januar her; da würden Sie schnell Ihre Meinung
ändern!« Er mußte lachen. »Vielleicht haben Sie
recht.« Dann schaute er eine Weile zu und fragte
schließlich: »Wie geht es eigentlich Ihren
Söhnen?«
Ihre Schultern bewegten sich rhythmisch im Takt ihrer
Arbeit. Dann stand sie auf und ging zur nächsten Kuh. »James
ist tot!« bemerkte sie beiläufig und ohne die geringste
Gefühlsregung.
»Wie ist das geschehen?« fragte Fallon überrascht.
»Er hatte, das Landleben satt, wollte endlich
mal Abenteuer erleben. Da ging er zu den Soldaten. Irgendwo in Korea
ist er gefallen. Ich kann mir nie den Namen des Ortes merken, wo er
liegt.«
»Aber Sie hatten doch noch einen Sohn, nicht
wahr?« forschte Fallon weiter. »Einen jüngeren?«
Sie nickte. »Sie meinen Charlie – der ist noch hier. Er ist jetzt gerade achtzehn geworden.«
Überrascht zog Fallon die Augenbrauen zusammen.
»Wo ist er denn jetzt? Er scheint früh aufzustehen.«
Sie hatte die Kuh ausgemolken und richtete sich auf
ihrem Schemel auf. »Er ist letzte Nacht nicht nach Hause
gekommen«, gab sie zurück. »Das kommt oft vor. Er
verbringt dann die Nacht in den Bergen, beobachtet die Sterne oder
treibt ähnlichen Unsinn.« Sie stand auf und setzte kurz
hinzu: »Als er dreizehn war, hatte er eine
Gehirnhautentzündung, und davon ist etwas zurückgeblieben.
Sein Verstand ist nicht ganz klar.« Fallon fand kein Wort der
Erwiderung bei dieser Eröffnung. Forschend schaute die Frau ihn
an. »Jetzt haben Sie doch nicht etwa Mitleid mit mir, was?«
Er mußte lächeln und griff nach dem Melkkübel. »Doch, fast«, meinte er trocken.
Sie gab ihm einen Klaps auf die Hand. »Setzen Sie den Eimer
hin; ich bin noch nicht altersschwach.« Dann lehnte sie sich
gegen die Barriere. »Geben Sie mir eine Zigarette und
erzählen Sie mir mal, was Sie hierhergetrieben hat! Ich habe seit
einer Woche keine Zeitung mehr gelesen.«
Er erzählte ihr alles, von Anfang an – von
der Nacht, als O'Hara und Doolan in seiner Hütte erschienen waren,
bis zu diesem Morgen. Als er geendet hatte, trat ein längeres
Schweigen ein. Schließlich wechselte er seine unbequeme Haltung
und fragte: »Was denken Sie jetzt?«
Sie schnaubte verächtlich. »Ich denke,
daß Sie der größte Narr der Welt sind!«
Kopfschüttelnd setzte sie hinzu: »Nur eines kann ich Ihnen
nicht vergeben, daß Sie dies arme Mädchen mit in die Sache
verwickelt haben. Sie haben sie damit zugrunde gerichtet.«
Er nickte bedächtig mehrere Male und trat dann
wütend gegen die Barriere. »Ich weiß! Ich weiß
alles. Aber das ließ sich nicht vermeiden. Und außerdem ist
sie ja vorläufig noch völlig sicher, solange Rogan das Maul
hält! Gefahr besteht nur, daß er auspacken wird, sobald ihn
die Polizei erwischt.«
Die Frau nahm den Eimer auf, und Fallon folgte ihr aus
dem Stall. »Ich kenne Rogan«, entgegnete sie. »Er war
letztes Jahr einmal hier. Ein übler Bursche; der schlimmste, der
mir je über den Weg gelaufen ist.«
»Ich weiß nicht, wo die Organisation ihn
aufgegriffen hat. Er ist ein feines Beispiel von einem irischen
Patrioten, das muß ich schon sagen.«
Sie lachte kalt. »Die Organisation muß
heutzutage nehmen, was sie kriegt; das ist die bittere Wahrheit! Sie
bekommen heute nicht mehr die wohlerzogenen Idealisten, wie es
früher war. Sie
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