Schrei in der Nacht
schaute auf und verzog sein Gesicht. »Aber ich mache mir Vorwürfe – das ist das Problem.«
Mit hochgezogenen Augenbrauen gab sie zurück:
»Schön, wenn Sie nicht anders können, dann machen Sie
sich Vorwürfe. Aber der Junge gab sein Leben für das Ihre
– treten Sie sein Opfer nicht in den Dreck, indem Sie Ihr Leben
wegwerfen!« Dann ging sie zu Charlie und schüttelte ihn.
»Komm, steh auf. Geh und hol zwei Spaten aus dem
Werkzeugschuppen.« Charlie verließ schnüffelnd und
schluckend den Raum, und Hannah sagte zu Fallon: »Ich
möchte, daß der Tote noch heute weggeschafft und begraben
wird!«
Er nickte und erhob sich schwerfällig. Anne wusch
sich die Arme unter der Wasserleitung, und als sie sich umdrehte, um
sich abzutrocknen, sah er ihr blasses, aber gefaßtes Gesicht.
»Fühlen Sie sich in Ordnung?« fragte er sie.
Sie nickte und entgegnete mit
beherrschter Stimme: »Völlig. Ich werde Hannah helfen, ihn
in eine Decke einzunähen, während Sie das Grab
ausheben.« Damit ging sie zum Tisch und begann die Glieder des
Toten auszustrecken. Fallon sah sie voller Hochachtung an und ging
langsam hinaus.
Sie gruben das Grab hinter dem Haus, dort wo die
Schlucht zu den Hügeln anhob. Charlie wurde von Zeit zu Zeit noch
immer von Schluchzen geschüttelt, aber Fallon ignorierte ihn und
schaufelte mechanisch. Sein Geist war durch den Schock von Murphys Tod
wie gelähmt. Er wurde sich plötzlich bewußt, wieviel
ihm der Junge in den wenigen Tagen ihrer Bekanntschaft schon bedeutet
hatte. Verzweifelt stieß er seinen Spaten in den Erdboden und
verwünschte sich voller Bitterkeit, daß er dem Jungen nicht
von allem Anfang an verboten hatte, sich in diese Angelegenheit
einzumengen.
Als die Grube tief genug war, gingen sie zum Haus
zurück, um den Leichnam zu holen. Dieser war ein formloses, in die
Decke eingehülltes Bündel. Charlie brachte ein Brett herbei,
und sie legten den Körper darauf. Dann trugen ihn die beiden
Männer den Hang hinter dem Haus hinauf, während die Frauen
folgten. Behutsam senkten sie den Toten in die Grube hinab, und Fallon
fragte keuchend: »Hat jemand ein paar passende Worte zu
sagen?«
Alle schwiegen, doch dann meinte Hannah hart:
»Hier gibt es nur eins zu sagen: nämlich, daß hier ein
braver Bursche liegt, dessen Leben sinnlos geopfert wurde! Sein
Grabstein ist die Dummheit der Menschen!« Sie drehte sich zu
ihrem Sohn um und befahl: »Charlie, schaufle das Loch zu!«
Dann nahm sie Anne am Arm und führte sie davon.
Fallon blieb noch lange am Grab stehen und schaute zu
den Sternen hinauf. Es war ganz still, nur irgendwo in der Ferne bellte
ein Hund. Fallon fühlte sich einsamer als jemals in seinem Leben.
Mit einem leichten Schauder wandte er sich ab und ging zum Haus
zurück.
Kurz vor sechs Uhr waren sie bereit
aufzubrechen. Fallon ging in die Küche, um mit Hannah abzurechnen,
aber als diese seine Brieftasche erblickte, wehrte sie mit der Hand ab.
»Diesmal nicht«, sagte sie. »Solch ein Geier bin ich
doch nicht…«
Er zögerte, steckte aber dann die Brieftasche
wieder weg. »Es tut mir leid, Hannah, aber es sieht so aus, als
ob ich alle Leute, mit denen ich in Berührung komme, mit ins
Verderben hineinziehe. Ich muß ein Unglücksbringer
sein.«
Sie schnaufte verächtlich und wischte sich die
Hand an der Schürze ab. »Sie haben zuviel Selbstmitleid, das
ist Ihr Unglück! Wenn Sie mich belohnen wollen, dann können
Sie das leicht haben: Bringen Sie das Mädchen zum Bahnhof und
lassen Sie sie dann in Ruhe! Sie sind ihr von Schaden; Sie haben nichts
zu bieten. Lassen Sie ihr noch eine Möglichkeit für ein neues
Leben!«
Einen Moment starrte er sie an, dann lächelte er
krampfhaft und sagte: »Das werde ich tun. Ich verspreche es
Ihnen!«
Als er sich zur Tür wandte, fuhr wieder dieser
glühende Schmerz wie ein Feuer durch seinen Körper. Er
schwankte, versuchte, sich an der Wand festzuhalten, und Hannah
stürzte vor und hielt ihn fest.
»Was ist Ihnen?« fragte sie. Sein Gesicht
war schmerzverzerrt, und als er keine Antwort gab, flüsterte sie:
»Sie sind krank, Sie sind schwerkrank.«
Er stützte sich einen Augenblick auf sie, dann
ließ der Schmerz nach. »Es ist schon gut.« Er
versuchte ein Lächeln. »Das kommt von der Wunde; es hat aber
nichts zu sagen.« Dann packte er fest ihren Arm und beschwor sie:
»Sagen Sie aber nichts davon zu Anne! Es wird mir ohnehin schwer
genug fallen, sie loszuwerden, auch ohne daß sie
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