Schrei in Flammen
musste weg, alles hinter sich lassen. Aber jede Flucht war von Anfang an zum Scheitern verurteilt, weil er nur vor sich selbst floh.
*
Damals war alles so einfach. Ich dachte: Mädchen wie ich. Und Männer, die zu Mädchen wie mir gehen. Wir sehen die Sache gleich: Es geht um die Befriedigung sehnsüchtiger, heißer Träume gegen eine stattliche Summe Geld; und als Extrabonus kann ich mich in ihrer atemlosen Bewunderung und ihrer Begierde nach meinem Körper sonnen.
Ich verdiente unglaublich viel Geld.
Aber das Beste daran war: Ich hatte endlich Macht über sie. Und genau das genoss ich.
Ich spielte eine Rolle. Ich war eine Schauspielerin, die eine Bühne betrat. Mein Publikum bestand aus nur einer Person, und das gemeinsame Spiel führte uns eng, sehr eng zusammen. Ich war die Regisseurin. Sie bekamen nicht mich. Sie bekamen sie.
Meine Welt war so befreiend einfach.
Und alles entwickelte sich, wie ich es mir vorgestellt hatte.
Sie scharten sich um mich. Champagner, Goldstaub auf der Haut, Stilettos und Luxus.
…
Okay …
Okay.
Ich will nicht lügen.
Natürlich gab es auch Nieten. Allein schon die Tatsache, dass sie in jedem Alter waren. Aus allen nur erdenklichen Ecken kamen. Mit den unterschiedlichsten Leben. Ein armer Mann musste sehr, sehr lange dafür sparen. Aber auch das kam vor.
Die Lösung hieß aber in jedem Fall: Man zog ihn in den Dreck. In Gedanken, natürlich. Von dem Moment, wenn er ankam, bis er wieder ging.
Ich stellte schnell fest, wie befriedigend das war. Es wurde ein Teil von mir, sie alle zur Schnecke zu machen. Zu erniedrigen. Auch wenn sie okay waren.
Und ich fand eine Gleichgesinnte, deren Humor ebenso schonungslos war wie mein eigener.
Ich lernte sie an. Ihr fehlten die Grenzen. Ohne mich wäre sie zugrunde gegangen. Ich brachte ihr bei, auf sich selbst aufzupassen.
Sie konnte die Schwächen der Männer derart präzise aufs Korn nehmen, dass ich mich vor Lachen nur so bog. Das Leben einer Hure ist randvoll mit Humor. Mehr als einmal wäre ich nach einer Pause mit ihr fast aus der Rolle gefallen, weil das Lachen noch in meinem Bauch steckte.
Wenn sie uns gehört hätten … Tja, dann wären sie nicht wiedergekommen. Aber das taten sie. Oh ja, das taten sie.
*
Katrine Wraa schloss ihr Haus auf, ging direkt ins Bad und zog alle Sachen aus. Sie drehte die Dusche an und stand lange unter dem warmen Strahl. Sie war erschöpft, aber zugleich auf eine wohlbekannte, angenehme Weise voller Tatendrang. Nachdem sie sich abgetrocknet und frische Sachen angezogen hatte, setzte sie sich mit einem eiskalten Bier in der Hand aufs Sofa und schaltete den Computer ein. Aus dem Nachbarhaus hörte sie Stimmen und Musik, bestimmt hatten sie Gäste.
Katrine vergaß schnell alle Geräusche. Zwei essentielle Dinge beschäftigten sie. Sie glaubte nicht, dass Asger Dahl Maja Jensen ermordet hatte. Deshalb hatte sie beschlossen, ein umfassendes Opferprofil von Maja zu erstellen. Auch wenn sich später herausstellen sollte, dass sie sich irrte und Asger Dahl tatsächlich der Täter war, wollte sie alles unternehmen, um die tote Frau und das Leben, das sie gelebt hatte, zu verstehen. Es war ihr egal, ob Melby dagegen war, dass sie ihre Zeit auf diese Fragestellung verwendete.
Katrine war sich beinahe zu hundert Prozent sicher, dass Maja ihren Täter kannte. Vermutlich seit längerem. Sonst konnte es sich nur um eine im höchsten Maße psychotische Person handeln, die unter Wahnvorstellungen litt und von irgendwoher den Befehl erhalten hatte, eine Frau zu ermorden und zu verbrennen.
Nein, es musste eine Verbindung gegeben haben, und zwar eine mit großen Gefühlen. Groß genug, um jemanden zu einer so extremen Tat zu treiben.
Aber was für eine Verbindung?
Und welche Rolle hatte Maja in dem Spiel gespielt, das ihrem Tod vorausgegangen war? Solche Fragen wurden kontrovers diskutiert und oft missverstanden, weil manche Leute glaubten, man wolle damit andeuten, die Tat wäre womöglich provoziert, ja selbst verschuldet gewesen. Natürlich wollte sie das nicht damit ausdrücken. Aber wie Katrine vor einigen Monaten eine ganz spezielle Rolle gespielt und bestimmte Dinge gesagt und getan hatte, die einen anderen Menschen dazu bewogen hatten, sich ihren Tod zu wünschen, musste auch Maja zu Lebzeiten den Hass eines Menschen geweckt haben. Einen derart unbändigen Hass, dass diesem Menschen der Mord allein nicht gereicht und er oder sie zu einer drastischen Maßnahme gegriffen hatte und dabei ein
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