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Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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und dominierte bald jede Szene, der er angehörte. Wenn ich heute auf die Leute im Court und in ihrem Umkreis zurückblicke, ist er derjenige, der alle anderen überragt, und das, obwohl sie alle außerordentlich talentierte Leute waren.
    Das Court war mehr als nur ein lebendiges Theater mit einer tapferen Geschichte, wo jeder mit Talent begabte Mensch arbeiten wollte. Seine Atmosphäre, sein Ambiente war so intensiv, dass es eine Zeit lang eher so etwas wie eine zwanglose Gemeinschaft war. Um das Theater herum wuchsen Seminare und »Happenings« von der Art, wie sie in den sechziger Jahren an der Tagesordnung waren. Welches Bedürfnis war es, in der zweiten Hälfte der Fünfziger, dem, ob Jung oder Alt, eine große Menge Menschen Ausdruck zu verleihen suchte – einige von ihnen Schauspieler und Dramatiker, aber nicht unbedingt Mitarbeiter des Theaters –, indem sie ganze Abende und Wochenenden damit verbrachten, Bäume, Wände oder Flüsse zu sein oder Zorn, Liebe, Mitleid und so weiter zu verkörpern? Ein Teil dieser Veranstaltungen hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit dem, was man über die lebenden Bilder und Scharaden der viktorianischen Salons liest. Ein Haus, wo Derartiges veranstaltet wurde, war das von Anne und Peter Piper an der Themse in Hammersmith, ein wunderbar fragiles Haus mit auf Säulen ruhenden Veranden, was ihm die Atmosphäre eines mit den Gezeiten driftenden Schiffes verlieh. Es war voll von bildschönen Töchtern jeden Alters; wenn man darin war, musste man sich einfach vorstellen, dass Renoir zurückkehren und sie alle malen würde. Während ich – und Peter – es liebten, die Pipers zu besuchen, kann ich nicht behaupten, dass mir die Scharaden gefielen, weder dort noch im Court, trotz der berauschenden Atmosphäre. Was mir nicht gefiel, war das Zusammengehören, die Familie, das »Wir gegen sie« – der Clan. Davon hatte ich ein für alle Mal genug. Ich wusste, dass es bald auseinanderbrechen würde, denn das tut es immer, aber es war bezaubernd, solange es dauerte. Und eine Zeit lang war ich eine Royal-Court-Autorin. »Ach, Sie gehören zu unseren Autoren«, sagten sie zu mir und gaben mir gute Plätze, aber gleichzeitig sann ich auf Rache: Ihr habt mir ein Versprechen gegeben und es nicht gehalten.
    Ich hatte ein Stück geschrieben über jene Zeit, in der sich die Jugend eindeutig nicht für Politik interessierte. Für mich war es ein Schock, wenn ich – nach Jahren voll politischer Flüchtlinge, Überlebender aus Konzentrationslagern, Flüchtlingen aus den kommunistischen Ländern – einen gleichgültigen jungen Mann murmeln hörte: »Tut mir leid, aber für Politik habe ich keine Zeit.« In jener Zeit war Kenneth Tynan das große Vorbild, denn er war ein Dandy, trug, um ältere Leute zu ärgern, pfauenhafte, von Max Beerbohm und Oscar Wilde inspirierte Kleidung. Meinesgleichen und ich waren schockiert und beunruhigt, denn wir dachten, wenn man »kein politisches Bewusstsein« hat, dann bekommt man, was man verdient – zumindest einen Hitler. Dass einige der Generationen mit dem stärksten politischen Bewusstsein Stalin bekommen hatten, war kein Gedanke, den wir damals schon hegen konnten. Das also war der Hintergrund von
Jedem seine eigene Wildnis
, das und das Mitansehen, wie einer Freundin von mir, einer Kommunistin, Woche um Woche, monatelang, von ihrem unpolitischen Sohn Vorhaltungen wegen ihrer politischen Einstellung gemacht wurden. Dann gab sie die Politik auf, und er wurde, praktisch über Nacht, zu einem extremen, um nicht zu sagen, gewalttätigen Politikbesessenen – alles, weswegen er sie so heftig kritisiert hatte. Noch während ich das Stück schrieb, hatte sich schon alles geändert, und Kenneth Tynan führte die neue Welle an. Ich schickte dieses Stück ans Royal Court, was bedeutete, an Tony Richardson, und wurde von ihm und George Devine zum Lunch eingeladen, wo beide von dem Stück schwärmten. »Genauso gut wie
Blick zurück im Zorn
, Darling«, erklärte Tony mit seiner schleppenden Stimme. Ein ahnungsvoller Kobold sprach aus mir, als ich sagte: »Aber es ist durchaus möglich, dass ihr eure Meinung ändert.« Beide Männer versicherten mir mit tausend Versprechungen, dass dies nicht passieren würde. Monate vergingen, und ich wagte es, mich zu erkundigen, was mit der Aufführung passiert war, und bekam einen Brief von George Devine, der mit den Worten anfing: »Es gibt immer noch etliches, was uns an Deinem Stück gefällt.« Tony Richardson war in

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