Schritte im Schatten (German Edition)
dieser Versammlung gekommen war, obwohl er Politik hasste. Als wir, die Redner, zur Tür gingen, war Spike Milligan neben mir, wegen
The Goon Show
für mich und jedermann sonst dort ein Held. Als ihm bewusst wurde, dass ich etwas sagen wollte, was seine Privatsphäre tangierte, streckte er rasch die Hand aus: »Und so treffen wir uns wieder …« – ein abrupter Rückzug – »… zum ersten Mal.« Das brachte meine geistige Maschinerie in Unordnung, und ich vermochte nichts mehr zu sagen. Damals beschloss ich, mich der gleichen Technik zu bedienen, wenn ich von Fans attackiert wurde, aber man muss Spike Milligan sein, damit sie funktioniert. Das Entscheidende dabei ist, dass sie nicht demütigend ist, anders als bei einem Treffen des PEN -Clubs kurz nach meiner Ankunft in London, wo Eleanor Farjeon neben mir aufragte und ich ihr sagte, wie viel mir ihre Erzählungen bedeutet hatten, als ich noch ein Kind war. Worauf sie murmelte: »Ich habe sie natürlich speziell für Sie geschrieben.« Damals schwor ich mir, dass ich niemals einem respektvollen Fan gegenüber so unfreundlich sein würde, und ich hoffe, ich bin dabei geblieben, allen Versuchungen zum Trotz.
Noch eine Versammlung
Die neu gegründete
New Left Review
organisierte eine Versammlung, die, wenn ich mich recht entsinne, unter dem Motto »Wohin Großbritannien?« oder »Großbritannien am Scheideweg« stand. Ich saß zusammen mit einigen anderen auf dem Podium und äußerte meine Gedanken, als ein Mann im Publikum aufstand und fragte: »Wie können Sie es verantworten, da oben zu sitzen und uns Ihre Meinung zu sagen, wo Sie und Ihresgleichen sich doch in allen Dingen so sehr geirrt haben?«
Eine sehr gute Frage. Eine Antwort hätte lauten können: »Weshalb sitzen Sie da und hören uns zu?« Oder: »Aber es gab auch eine Menge Dinge, in denen wir recht hatten.« Oder: »Aber alle waren Kommunisten.«
Aber wir legten Zeugnis ab. Weshalb? Der Grund dafür kann nur sein, dass wir uns als Stellvertreter für andere empfanden. »Das sind meine Erfahrungen und die von vielen anderen Leuten.« Ist es so, dass wir unseren eigenen Erfahrungen nicht trauen, bevor wir wissen, dass andere Leute das Gleiche erlebt haben? Der Grund dafür kann nur der sein, dass wir in Zeiten so weitreichender und oft plötzlicher Veränderungen leben. Man möchte wissen, was Freunde dieser Tage denken, denn es versteht sich von selbst, dass sie nicht dasselbe denken wie beim letzten Zusammentreffen. (»Wie stehst du heute dazu?«) Dennoch hat es Gesellschaften gegeben, wie man uns erzählt, in denen jedermann jahrhundertelang dasselbe dachte. Wahrscheinlich gibt es auch heute noch Nischen mit solchen Leuten. Eine amerikanische Freundin von usbekischer Abstammung machte sich auf die Suche nach ihren Wurzeln, wozu wir uns alle dann und wann gedrängt fühlen, und stellte fest, dass der Clan oder Stamm, dem ihre Großeltern angehört hatten, noch genauso lebte wie damals; sie waren Händler und Ladenbesitzer und hatten viel mit Pferden zu tun. Mittelpunkt ihres Lebens waren lange, gesellige, gemeinschaftliche Mahlzeiten, bei denen die Leute sich unterhielten. Eine entspannte Lebensweise und sicherlich zuträglich, sonst hätte sie nicht so lange Bestand gehabt. Aber in der Zwischenzeit war meine Freundin, ein winziger Splitter des Clans, so etwas wie ein Blatt in einem Wirbelsturm moderner Menschen geworden, wo nichts auch nur fünf Minuten lang dasselbe blieb.
Es gibt bekannte Leute, deren Ruhm in erster Linie darauf beruht, wie oft und wie gründlich sie ihre Ansichten über alles Mögliche geändert haben. Wir legen Zeugnis ab. »Früher dachte ich dieses, heute denke ich jenes.« Als ob Ideen Anker wären.
Abgeschoben
John Wain und ich erinnerten uns daran, dass wir gern tanzen gingen, »als wir noch jung waren«. Es versteht sich von selbst, dass wir uns damals noch für ziemlich jung hielten. Ich war noch nicht vierzig, er ungefähr genauso alt. Wir gingen in den Jazz Club in der Oxford Street, wo Humphrey Littleton Trompete spielte mit seiner Band, und stellten fest, dass all die jungen Leute sehr nett zu diesen alten Knackern waren, die im Grunde gar kein Recht hatten, dort zu sein. Wir bewegten uns verhalten, gehemmt von den toleranten, aber belustigten Blicken, und dann ertanzten wir uns unseren Weg an den Rand der Tanzfläche – und verzogen uns, um Kaffee zu trinken und unsere Wunden zu lecken.
Lobenswertes Vorhaben
John Berger war zu dem Schluss gelangt, dass
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