Schritte im Schatten (German Edition)
begegnete, vermutete sie, dass meine Freundschaft mit Miles die von zwei alten Streitrössern der Partei gewesen ist, aber ich habe von Miles nie etwas gehört, das auf die Parteilinie hingedeutet hätte. Jimmy Porter, mit dem sich so viele junge Männer identifizierten, hielt ich für infantil und so von Selbstmitleid erfüllt wie die jungen Leute, die sich um
Werthers
willen das Leben nahmen. Miles empfand ihn als das Äquivalent eines Furzes ins Gesicht der Respektabilität und ungefähr ebenso sinnvoll.
Aber worüber war Jimmy Porter so zornig? Es gibt zwei Todesfälle in diesem Stück. Der eine ist sein Vater, der im Spanischen Bürgerkrieg stirbt, um dessentwillen so viele Briten sich ihrer Regierung schämten, und der andere eine alte Frau aus der Arbeiterklasse, eine Überlebende aus den hungrigen, schäbigen, von Armut beschmutzten dreißiger Jahren. Mit diesem Zorn konnte ich mich identifizieren. Dennoch fragen die älteren Leute: Worüber war Jimmy Porter – oder John Osborne – so zornig? Über die Gründe für diesen Zorn wurden damals unglaubliche Mengen an Papier verschwendet.
1951 war
Angry Young Man
erschienen, die Autobiografie von Leslie Paul, einem namhaften Schriftsteller, dessen Lebenslauf und Veröffentlichungen in
Contemporary Authors
zwei lange Spalten füllen. Mir ist nie jemand begegnet, der dieses Buch gelesen hat, aber sein Titel hat vermutlich den von Osbornes Stück inspiriert. Osborne traf mit ihm das Lebensgefühl der Zeit. Wenn die Leute von der Öffentlichkeitsarbeit am Royal Court überlegten, wie sie die Aufmerksamkeit auf
Blick zurück im Zorn
lenken konnten, dann sagten sie zu John Osborne: »Sie sind vermutlich ein zorniger junger Mann.« Und fütterten die Presse damit. Wie wir heute, nachdem wir teuer dafür bezahlt haben, wissen, konnte die Presse eine gute Sache nicht auf sich beruhen lassen, und noch jahrelang wurde jedes neue Talent bei seinem Erscheinen als »zorniger junger Mann« gefeiert. »Zornige junge Männer.« Journalisten sind schon ein erstaunliches Phänomen: Man sollte annehmen, dass sie sich wenigstens gelegentlich um ein bisschen Originalität bemühen. Noch vor nicht allzu langer Zeit haben wir dasselbe mit John Major erlebt, der zu Beginn seiner Amtszeit als Premierminister als »grau« beschrieben wurde. Jahrelang hat John Major die Journalisten dazu »inspiriert«, das Adjektiv »grau« hinzuzufügen. Wie programmierte Ratten. Mrs. Thatcher: die Handtasche.
Und nun tritt Tom Maschler auf, noch sehr jung – dreiundzwanzig –, gut aussehend und ehrgeizig, der in meiner Wohnung erschien und von mir verlangte, dass ich einen Beitrag zu einem Buch mit dem Titel
Declaration
schreiben sollte. Ich sagte ihm, dass ich es hasste, Texte über meine Ansichten zu schreiben. Er erwiderte vorwurfsvoll, seine gesamte Zukunft hinge von diesem Buch ab. Später erfuhr ich, dass das der Grund war, aus dem wir alle zusagten: Wir konnten uns Toms Nöten nicht verschließen. Außerdem war er an Iris Murdoch herangetreten – behauptete er –, und sie hatte Nein gesagt, und er musste eine Frau in seinem Buch haben: Ich durfte ihn ganz einfach nicht im Stich lassen. Und so wurde ich ein zorniger junger Mann.
Tom war ein Opfer des Krieges. Seine Eltern waren als Flüchtlinge aus Wien gekommen, als er sechs Jahre alt war, und als ob das noch nicht genug wäre, trennten sie sich kurz nach ihrer Ankunft. Seine Mutter bekam eine Stellung als Köchin in einem großen Haus auf dem Land. Tom, der in Wien ein kleiner Prinz gewesen war, wurde zum Sohn einer Köchin. Er wurde der Anführer einer Bande von kriminellen Jugendlichen und erzählte sehr lustig und prahlerisch von ihren Taten. Außerdem beklagte er sich bitter, dass die Tatsache, dass er gerettet und in eine Quäker-Schule geschickt worden sei, ihn ruiniert habe, weil sie ihm ein Moralgefühl verliehen habe – sonst wäre er ein zweiter Onassis geworden. Seine kurze Zeit in der Armee war kein Erfolg gewesen: Er war nicht der einzige junge Mann, den ich kannte, der, empört darüber, dass so etwas Gemeines ihm widerfahren konnte, sich einfach aufs Bett legte und sich weigerte, wieder aufzustehen. Er war Reiseleiter gewesen – das war zu Beginn dieser Art von Tourismus. Seine Sprachkenntnisse und sein Charme bewirkten, dass er Erfolg hatte. Er bestand alle möglichen Abenteuer, darunter das, Kaffee über die Grenzen zu schmuggeln. (Wirklich guter Kaffee war eine heiß begehrte Ware.) Als ich mit Peter nach
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