Schritte im Schatten (German Edition)
Mittelschicht Adieu gesagt hatte, als ich Frank Wisdom verließ und mich mit den Genossen zusammentat, war ich mit großzügigen Leuten zusammen gewesen; nach meinen Erfahrungen sind die Kommunisten das immer gewesen. Und außerdem fiel meine Anfangszeit in London mit einer allgemeinen Verachtung von Geld zusammen, vermutlich deshalb, weil keiner von uns welches hatte. Seit ich angefangen hatte, ein bisschen Geld zu verdienen, wurde ich immer wieder um »Darlehen« angegangen. Eine Menge davon ging an junge Männer. Armen jungen Männern wird oft von älteren Frauen geholfen, was richtig und vernünftig ist, denn es ist für beide Parteien ein psychisches Bedürfnis, und das hat nur wenig oder gar nichts mit Sex zu tun. Wenn ich wollte, könnte ich mittlerweile eine sehr lange Liste von »Schuldnern« aufstellen. Ich bedauerte nichts von alledem, aber ich war wütend auf mich selbst, weil ich dieser widerwärtigen jungen Frau überhaupt etwas gegeben hatte. Aber ich hatte ihr Geld geben müssen, und deshalb lag ich nun im Dunkeln, krank und fiebernd und wütend, und dachte über meinen Charakter nach. Jetzt, Jahrzehnte später, ist es leicht, einsichtsvolle Gedanken über den eigenen Charakter in jungen Jahren zu Papier zu bringen, aber schon damals hatte ich einen Schimmer von etwas Grundlegendem in meiner Persönlichkeit. Das ist mir wiederholt in meinem Leben passiert: dass ich lange vor jedem bewussten Verstehen einen Schimmer von Begreifen
fühlte
, was mich und mein Selbst anging. Damals gelangte ich zu dem Schluss, wenn ich schon diese Schwäche in meiner Natur hatte, dann würde ich sie zumindest unter Kontrolle halten. Ich würde, wenn ich mich in dem Haus eingerichtet hatte, mir ganz bewusst jemanden aussuchen, für den ich verantwortlich sein würde, es würde meine Wahl, meine Entscheidung, unter meiner Kontrolle sein – Agieren anstelle von Reagieren. Das Haus würde zu groß sein – das dachte ich damals. Peter, mittlerweile ein Teenager, benahm sich inzwischen so wie alle Jugendlichen in den Sechzigern; er war gelegentlich ein Ehrenkind in anderen Familien, genauso, wie seine Freunde oft mehr Zeit bei mir als bei ihren eigenen Eltern verbrachten. Bald würde es in dem Haus von jungen Leuten wimmeln.
Dieser Zwischenfall mit der widerwärtigen jungen Frau kündigte mehr an, als ich damals wissen konnte. Zum einen ihr Verhalten, eine allgemeine, bösartige Verachtung. Sie verkörperte einen grollenden Neid, und der begann mich bereits damals zu interessieren – und heute interessiert er mich sogar noch mehr. Sie hatte eindeutig das Gefühl, ihr wäre etwas versprochen worden, das sie nicht bekommen hatte. Das ist für ganze Generationen von jungen Leuten ein Hauptmotiv gewesen. »
Sie
haben mich um das betrogen, was mir zusteht.« Diese junge Frau mit ihre Bürde von vaterlosen Kindern war ein Opfer, nur das; ihre Lage hatte nichts mit irgendwelchen Fehlern ihrerseits zu tun, und sie war berechtigt, die Welt zu hassen. Ihre bloße Existenz war eine Anklage, und ja, ich hatte gerade angefangen zu verstehen, wie viel von dem, was ich sagte und vor allem dachte, genau das war: Eine Anklage.
J’accuse
. Ich klage die Welt an.
Und dann war da die Art, auf die sie herausspie: »Sie sind reich und erfolgreich.« Sie war auf mich verfallen, weil mein Name in den Zeitungen gestanden hatte. Da war es wieder, unser Nationallaster, der Neid, das Missgunst-Syndrom.
Ich zog um. Es war keine große Sache. Genau wie in meiner Jugend – das heißt, als ich mit Frank Wisdom und danach mit Gottfried Lessing zusammenlebte und wir ständig umzogen, ohne uns etwas dabei zu denken – nahm ich Bücher, ein paar Betten, einen Tisch, Bettzeug, die Vorhänge, Küchengerät mit. Das ganze hässliche Mobiliar ließ ich zurück.
So. Das waren die Fünfziger, wie ich das Jahrzehnt erlebt habe, das an beiden Enden überschwappte – 1949 bis 1962 –, wie Jahrzehnte das zu tun pflegen. Im Herbst 1962 zog ich in mein Haus ein. Unmittelbar vor uns lag der berühmte Winter von 1962 / 63 mit sieben Wochen strengem Frost im ganzen Land. Außerdem gab es einen schlimmen Nebel; nicht so schlimm wie die fürchterlichen dunklen Nebel der früheren Zeiten, die vom Clean Air Act beseitigt worden waren, aber meine blendend weißen Wände verloren ihre Unschuld. Dazu kam es nicht, weil die neuen Fenster schlecht gebaut worden waren, sondern weil ich geschlossene Fenster nicht ertragen kann. Sämtliche Wasserleitungen in
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