Schritte im Schatten (German Edition)
mich nicht erinnern. Am Ende eines Jahrhunderts großartiger romantischer Verklärung von Revolution; entsetzlicher Opfer für das Paradies und den Himmel auf Erden und das Dahinwelken des Staates; leidenschaftlicher Träume von Utopia, Wunderländern und perfekten Städten; Versuchen mit Kommunen und Gemeinschaften, mit Kooperativen und Kibbuzim und Kolchosen – hätte nach alledem irgendjemand von uns geglaubt, dass die Welt sich dankbar mit ein bisschen Ehrlichkeit, ein bisschen Kompetenz bei den Regierungen begnügen würde?
Während einer Zeit von ungefähr sechs Jahren in den Sechzigern stellte ich meine Zeitgemäßheit unter Beweis, indem ich eine »Hausmutter« für Teenager oder junge Erwachsene wurde, die entweder in 60 , Charrington Street wohnten oder kamen und gingen. Alle von ihnen steckten in irgendwelchen Schwierigkeiten; sie waren »gestört«, drogenabhängig, Alkoholiker, hatten schwere Zusammenbrüche erlitten, waren der Polizei bekannt. Das war, für diese besondere Zeit, mein Wachstumszentrum, das, was ich tat, obwohl ich gleichzeitig angestrengt schrieb, vor allem
Die viertorige Stadt
.
Die Sechziger werden heute verklärt; sie werden, manchmal fälschlicherweise, als Ausgangspunkt für alle möglichen Verhaltensweisen angesehen, die ihren Anfang in Wirklichkeit in den Fünfzigern hatten. Aber eines gibt es, das erst in den Sechzigern anfing: Drogen. Drogen kamen aus dem Osten ins Land, für jedermann erhältlich, und das hatte es in unserer Kultur noch nie gegeben. Ich glaube, dass auf lange Sicht, wenn genügend Zeit verstrichen ist, offenbar werden wird, dass dies das wirklich Bleibende der Sechziger darstellt. »Sie sind im Grunde völlig harmlos«, sagen die Leute noch heute. Ein Freund aus Zentralasien sagte damals zu mir: »Ihr Menschen im Westen kennt euch mit diesen Drogen nicht aus. Das alles ist neu für euch. Ihr seid wie ein Kind, das versucht, eine Schlange zu streicheln. Schau, was für eine hübsche Schlange. Wenn ihr in einer Kultur leben würdet, in der Drogen seit Jahrhunderten endemisch sind, dann wüsstet ihr, dass es nur die Versager, die Verlierer, die hoffnungslos Armen sind, die Drogen benutzen.«
Mein Blick auf die Sechziger ist von dem getrübt, was ich durchlebt habe. Und jetzt leben wir mit ihren Nachwirkungen. So viele Leute sind in Nervenheilanstalten und Gefängnissen gelandet, und bei Unterhaltungen tritt gelegentlich eine plötzliche Stille ein, weil man sich an jemanden erinnert, der Selbstmord begangen hat, und jede Woche hört man von einem allzu frühen Tod.
Aber das ist eine zu düstere Sichtweise
from the shaded side of the street
, denn erst diese Woche wieder hörte ich einen jetzt in mittleren Jahren stehenden Mann sagen: »Das war die Zeit, in der alles möglich war, wir standen im Begriff, Berge zu versetzen, wollten die Welt verändern. Und was die Leute vergessen, es gab dieses großartige Aufbranden von Vitalität in der Arbeiterklasse und in der unteren Mittelschicht – das haben die öffentlichen höheren Schulen bewirkt. Wo man auch hinschaute, gab es Jungen von den öffentlichen Schulen wie mich, oft in künstlerischen Berufen. Das war das erste Mal, dass sich das in diesem Land ereignete.«
Aber gewöhnlich, wenn ich jemanden nostalgisch über die Sechziger reden höre – »Wenn du dich an sie erinnern kannst, dann hast du sie nicht miterlebt« –, fällt mir eine Zeile aus einem Gedicht ein, das ich geschrieben habe, als ich noch sehr jung war, im Grunde fast noch ein kleines Mädchen. »Blick ich zurück, dann ist mir, als hörte ich Gesang.« Also, ja, so ähnlich wird es wohl gewesen sein.
Danksagung
Mein besonderer Dank gilt Jonathan Clowes für seine guten Ratschläge und seine Unterstützung und, bei diesem Buch, die Auffrischung meiner Erinnerungen aufgrund der seinen, denn obwohl wir uns damals noch nicht kannten, haben wir doch bestimmte Ereignisse gleichermaßen erlebt.
Ferner danke ich Stuart Profitt, meinem Lektor bei Harper- Collins, für seine hervorragende und einfühlsame Redaktion.
Sehr dankbar bin ich auch Dorothy Thompson, die mir freundlicherweise geschrieben und angefragt hat, ob ich Kopien meiner Briefe an Edward Thompson möchte. Ich hatte vergessen, dass ich sie geschrieben hatte.
Endlich danke ich Joan Rodker, Tom Maschler und Mervyn Jones für nützliche Korrekturen und Vorschläge.
Nachwort
Schritte im Schatten
, der zweite Band von Doris Lessings Autobiografie, erschien 1997 sowohl in
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