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Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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hatten, außer einem Stück Brot mit Margarine und Zucker darauf, und er war ohne Schuhe an den Füßen zur Schule gegangen. In der Ehe mit Lil hatte er endlich Sicherheit und genug zum Essen und einen Platz zum Leben gefunden, aber jetzt musste er diesen Platz mit Mrs. Rockingham teilen, die inkontinent war, aus dem Mund stank und überhaupt eine widerwärtige Person war, aber er bediente auch sie, wenn Lil es befahl. Wenn sie mich dabei beobachtete, wie ich etwas anzuheben versuchte, von dem sie meinte, es wäre zu schwer für mich, sagen wir, im Garten, dann rief Mrs. Pearce, die immer wusste, was ich tat, nach Mr. Pearce, und dann stand er grinsend neben mir und sagte: »Lassen Sie mich das machen«, und er tat es, als täte ich ihm einen Gefallen. Er leuchtete, dieser kleine Mann leuchtete wie ein Licht an einem dunklen Ort. Wie der Tischler Jimmy. Ich denke oft an beide, dankbar dafür, dass ich sie gekannt habe.
    Nur einmal, Jahre später, als das Alter aus Lil wirklich eine keifende Tyrannin gemacht hatte, kam er auf seine Situation zu sprechen. Er sagte traurig zu mir: »Wenn Sie Lil gekannt hätten, als sie noch jung war, würden Sie jetzt nicht schlecht von ihr denken. Ich erinnere mich immer an sie, wie sie damals war. Sie war so nett. Sie war so eine nette junge Frau. Ich sah sie das erste Mal, als sie bei Woolworth die Fußböden scheuerte, um ihre Kinder ernähren zu können, und sie hatte keine Strümpfe an den Beinen, und sie waren rot und wund. Ich durfte ihr ein Paar Strümpfe kaufen und dann ein Paar Schuhe für ihre Füße. Das war der glücklichste Tag meines Lebens. Sie hatte damals all diese Kinder, und ich durfte ihr helfen.«
    Lil Pearce erwartete, dass man sie auf dem Laufenden hielt. Wenn allzu viel Zeit, sagen wir drei Tage vergangen waren, seit ich bei ihr hereingeschaut hatte, winkte sie mich von ihrer Fensterbank aus mit einem herrischen Zeigefinger heran. »Was sollen Sie für diesen Herd bezahlen? … Das ist zu viel. Ich weiß, wo Sie einen zehn Pfund billiger kriegen können.« Sie hatte die »Piraten« bei sich, zusammen und getrennt, und gab ihnen Anweisungen, wie sie mich zu behandeln hatten. Sie sagte mir, sie seien anständige Leute, und ich könne mich auf sie verlassen. Sie schickte tassenweise Tee herüber, für die »Piraten« und für Jimmy, wenn er da war, mit einer Flasche Hustensaft für ihn oder einem Kuchen, den er mit nach Hause nehmen sollte, weil er nicht richtig auf sich aufpasste. »Der macht es nicht mehr lange«, schrie sie der Alten zu. »Genau wie du.«
    »Das stimmt«, kreischte die Alte zurück.
    Ich kannte Lil Pearce, bis sie starb, ungefähr zwanzig Jahre später. Ich habe kein einziges Mal dieses Haus oder später die Sozialwohnung betreten, in die man sie gesteckt hatte, ohne mit einer Hiobsbotschaft begrüßt zu werden. Es fing bei meinem zweiten Besuch an. »Es ist meine Brust«, verkündete sie. »Ich habe da dieses Geschwür. Es ist so groß wie eine Apfelsine. Sie wollen es herausschneiden.« Und dann zog sie aus ihrem Kleid, über dem sie eine Cretonneschürze trug, einen langen, weißen, fetten Klumpen Brust hervor. »Hier, sehen Sie diesen Klumpen?« Ein andermal war der Automat aufgebrochen und das Geld für drei Monate Strom gestohlen worden, die Katze hatte Würmer, der Hund hatte ein zerfetztes Ohr, sie selbst war durch die Dielenbretter im zweiten Stock hindurchgebrochen, weil sie verrottet waren und der Stadtrat sie nicht reparieren ließ, und sie hatte nach einer Pfanne über dem Herd gegriffen, und die schwere Pfanne war ihr auf die Hand gefallen – sehen Sie diesen blauen Fleck? Es war unmöglich, Lil Pearce zu besuchen, ohne die Geschichte eines Missgeschicks zu hören, das sie oder Mrs. Rockingham oder eines ihrer Kinder befallen hatte, die immer krank waren oder ihr Sorgen machten. Ich erzählte meinen Freunden davon, zuerst ein wenig nervös, weil es schwer war, sich auf dieses Niveau von Pech einzustellen. Später dann, wenn sie ihren Namen hörten, erkundigten sie sich: »Und was war es diesmal?« Es war eigentlich unmöglich, dass ein einziger Mensch mit einer derartigen Anhäufung von Missgeschicken aufwarten konnte, aber Lil Pearce konnte es, und sie tat es, Jahr für Jahr. Es habe alles damit anfangen, dass sie unehelich sei, sie sei ein Kind der Liebe, und deshalb habe ihre Mum sie gehasst und ihr nicht genug zu essen gegeben, aber ihre Großmutter habe sie geliebt, und so sei sie nicht an der schlechten Behandlung

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