Schritte im Schatten (German Edition)
unserer und in allen anderen Straßen in Somers Town froren ein, nur meine nicht, also lieferte ich Wasser an Nr. 58 , als der Hydrant, den das Wasserwerk an der Straßenecke aufgestellt hatte, gleichfalls einfror. Von dieser Frostperiode habe ich in meinem kleinen
Katzenbuch
erzählt.
Ich gab eine große, laute Einweihungsparty und lud dazu alle Leute ein, die am Haus mitgearbeitet hatten. Auf ihrem Höhepunkt kam der Mann von drei Häusern weiter auf die Straße und beschimpfte mich. Ich dachte: Also gut, ich wohne in einer Arbeitergegend, da muss man tun, was die Römer tun, und ich ging hinaus auf die Vortreppe, stützte die Hände in die Hüften und rief ihm zu, er solle den Mund halten und aufhören, ein Spielverderber zu sein, weshalb er nicht hereinkäme und mitfeierte?
Peter und sein Freund, Zeugen dieses undamenhaften Benehmens, waren bestürzt.
»Völlig richtig«, sagte Lil Pearce aus ihrem Fenster heraus. »Lassen Sie sich von diesem gemeinen alten Kerl nichts gefallen. Und in Ihrem Haus hat er auch nichts zu suchen.«
Ein paar Monate später bekam ich einen Zwangsverkaufs-Bescheid vom Stadtrat. Das bedeutet, man muss sein Haus an jede Behörde verkaufen, die es verlangt. Es gelang mir, sie bis gegen Ende der sechziger Jahre hinzuhalten, aber dann kam ein Tag, an dem ich mit einem Vertreter des Stadtrats in einem leeren Zimmer stand, um ihm die Schlüssel zu übergeben. Meiner Mutter Tochter hätte das Haus nicht anders als blitzsauber übergeben können, also war es von oben bis unten geschrubbt. Der Mann, voll von offizieller Bonhomie, gratulierte mir zu dem sauberen Haus.
Wir waren kaum ausgezogen, da kamen die städtischen Arbeiter, die ein Haus in der Nebenstraße instand setzten, und holten aus meinem Haus sämtliche Heizkörper, die Rohrleitungen und die Boiler heraus. Lil Pearce rief zuerst mich und dann den Stadtrat an. Daraufhin setzte der Stadtrat einen Wachmann vors Haus, von sechs Uhr morgens bis sechs Uhr abends, ließ aber die Hintertür offen, sodass die Arbeiter auch weiterhin eindringen und sich alles holen konnten, was sie vielleicht übersehen hatten. Als Lil Pearce den Stadtrat informierte, dass die unbewachte Rückseite des Hauses Dieben Zutritt gewährte, bei denen es sich um seine eigenen Arbeiter handelte, lautete die Antwort, dass sie sich um die Sache kümmern würden.
Das Haus stand acht Jahre leer. Während der Stadtrat darüber diskutierte, was mit der Gegend geschehen sollte, und immer wieder seine Meinung änderte, hätte ich die Sache vor Gericht bringen können, aber welcher vernünftige Mensch lässt sich auf so etwas ein? Ich lebe jetzt seit über dreißig Jahren unter dem Camden Council und habe ein schwindelerregendes Ausmaß an Inkompetenz und Korruption erlebt. Ich habe niedergeschrieben, was ich beobachten konnte – eine Anklage –, beginnend mit der Behandlung der Leute in Somers Town, die gegen ihren Willen »umgesiedelt« wurden. Dann musste ich mich fragen: Weshalb diese Besessenheit? Und mir wurde klar, dass dies ein berühmter sozialistischer Stadtteil war und sie voller Stolz auf sich waren, genau wie die kommunistischen Länder, prahlerisch und großspurig, aber wie bei einem betrunkenen Prahlhans, der sich in schicke Klamotten geworfen hat, konnte man sehen, dass er vergessen hatte, seine Hose zuzuknöpfen, und da trat die Wahrheit zutage, ein haariger, warziger, stinkender roter Arsch. Weshalb hatte ich etwas Besseres erwartet? Wegen des Wortes »sozialistisch« natürlich. Würde ich diese bittere Chronik schreiben, wenn es ein Tory-Stadtteil wäre? Bestimmt nicht; das wäre
Well, what can you expect?
Also
basta
. Es reicht. Schluss damit. Leute meines Alters finden sich immer in dieser Situation: Ein junger Mensch schaut einen an, versucht, sich seine Ungläubigkeit nicht anmerken zu lassen. Die taktvolle, verlegene Frage: »Aber, Doris, glaubst du wirklich, ein sozialistischer Stadtteil müsste besser sein als einer unter den Torys? Das verstehe ich nicht.« Was er oder sie versteht, ist, dass sie nur eine weitere alte Schachtel vor sich haben, die nicht alle Tassen im Schrank hat. Und man selbst versteht, dass wieder einmal Jahrzehnte – ein paar Jahrhunderte? – voller Idealismus und Optimismus verschwunden sind, als hätten sie nie existiert.
Wir standen alle immer noch auf der Rolltreppe Fortschritt, die ganze Welt fuhr in Richtung Wohlstand nach oben. Hat irgendjemand diesen glücklichen Optimismus infrage gestellt? Ich kann
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