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Schroders Schweigen

Schroders Schweigen

Titel: Schroders Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amity Gaige
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Antrag gestellt?«
    »Den Antrag?«
    »Den Scheidungsantrag.«
    »Wir haben keinen Antrag gestellt. Es ist – wir haben uns nur getrennt. Auf Probe.«
    »Dann stellen wir ihn heute.« Thron befeuchtete seinen Daumen und schälte ein Formular von einem dicken Block. »Wir werden heute den Antrag stellen, damit wir anfangen können zu prozessieren. Ohne Scheidung kann man nicht prozessieren. Ansonsten ist es nur eine in Freundschaft ausgetragene Meinungsverschiedenheit. Und das haben Sie ja schon ausprobiert, oder? Dann müssen Sie jetzt klagen.«
    »Das kann ich nicht«, wandte ich ein.
    »Sie können. Stellen Sie erst den Antrag, Eric. Seien Sie der Kläger. Nicht der Angeklagte. Verbringen Sie Ihr Leben nicht damit, immer nur zurückzuschlagen.«
    »Ich brauche einen Tag«, sagte ich.
    »Einen Tag. Einen Tag. Morgen kommen Sie vorbei und stellen den Antrag. Dann werden wir so schnell wie möglich vor einem Familiengericht eine Modifikation des Sorgerechtsabkommens beantragen. Wenn Ihre Noch-Ehefrau nicht zustimmt, dann wumms – gehen wir vor Gericht.«
    »Okay«, willigte ich ein.
    »Wir werden außerdem – so was ist nicht billig, das geb ich zu – einen erstklassigen unabhängigen Sorgerechtsgutachter anheuern. Er wird Sie allein beobachten und auch zusammen mit Ihrer Tochter – Sie wissen schon, beim Spieleabend, wenn Sie zusammen eine Cola trinken –, und er wird ein garantiert Eins-a-Gutachten verfassen über ihre väterlichen Fähigkeiten. Sollten wir vor Gericht gehen, wird dieses Gutachten aktenkundig sein, um dem Richter bei seiner Entscheidung zu helfen.«
    »Okay.«
    »Denn wissen Sie was, Eric? Sie sind ein guter Vater.«
    »Danke.«
    »Ich weiß , dass Sie ein guter Vater sind. Das sehe ich in Ihren Augen.«
    Es ging nicht anders; diese Augen füllten sich mit Tränen. Mein Herz entließ seine räudigen Tauben in die Luft. Mir war nicht klar gewesen, wie sehr ich mich nach diesen Worten gesehnt hatte. Sie sind ein guter Vater . Ich schwitzte am ganzen Körper, unter den Armen, auf der Stirn, am Rücken, die Erleichterung schien mir aus allen Poren zu sickern.
    Gleichzeitig sagte eine andere Stimme in meinem Innern: Tu’s nicht. Tu es nicht. Trottel. Idiot . Hast du denn gar nichts kapiert?
    »Passen Sie auf, Eric«, sagte Thron. »Lassen Sie uns kurz die wichtigsten Fakten durchgehen. Fangen wir mit Ihrem Geburtsdatum an.«
    »12. März 1970.«
    »Geburtsort?«
    Ich sah aus Throns Fenster. Die Wolken zogen bedächtig den Hudson hinunter wie so oft am Nachmittag, und das Licht fiel in splittrigen Strahlen ins Tal.
    Beinahe, beinahe hätte ich Thron in dem Moment die Wahrheit gesagt. Ich bin nicht der, der ich zu sein behaupte , hätte ich fast gesagt. Als ich fünf war, verließ ich an der Hand meines Vaters ohne Hab und Gut (hätte ich fast gesagt) die DDR . Meine beschissene Pubertät verbrachte ich in einem Einwandererghetto in Dorchester, Massachusetts. Und das ist erst der Anfang (hätte ich fast gesagt) .
    Ich starrte aus Throns Fenster zwischen den Häusern des Platzes hindurch auf den Hudson. Wie mitleiderregend so ein Fluss doch ist. Nichts gehört ihm, weder sein Wasser noch sein Sediment. Diese Sache wird nie ein Ende nehmen, sagte ich mir zur Erinnerung. Und eben darauf hast du es angelegt.
    »Geboren bin ich«, begann ich, »in Twelve Hills, Massachusetts, unweit von Hyannis Port.«
    »Hört sich nett an«, sagte Thron und machte sich Notizen. »Eine Kleinstadt?«
    »Sehr klein.«
    »Und Sie haben in der Stadt gelebt?«
    »Mittendrin«, sagte ich. »Wir hatten ein bescheidenes Haus mit Schleppdach. 150 Quadratmeter plus Keller. Wir waren nicht reich, obwohl meine Eltern aus guten Verhältnissen kamen. Meine Großeltern väterlicherseits haben ihr gesamtes Vermögen verloren, als sie Ende der Fünfziger von einem ihrer engsten Mitarbeiter betrogen wurden. Sie zogen in das Haus auf Cape Cod, und mein Vater ist dort aufgewachsen. Und ich bin dort aufgewachsen. Das Grundstück selbst war ein Schmuckstück. Direkt am Meer. Strandhafer und Wildrosen im Garten –«
    »Gut«, sagte Thron. »Und Ihre Eltern? Leben die beiden noch?«
    »Meine Mutter ist gestorben, als ich neun war. Sie ist dort auf dem Dorffriedhof begraben. Mein Vater ist Unternehmer, er lebt heute im Ausland. Wir sehen uns nur selten.«
    Blinzelnd besah Thron die Seite, und seine Augen nahmen ein öliges Schimmern an. »Hey. Sie sind aber nicht zufällig mit den Kennedy -Kennedys verwandt, oder?«
    Ich lächelte und zuckte

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