Schroders Schweigen
irgendeinen riesigen Deltadrachen aus knallbuntem Ripstop, und wir warteten auf einen guten Tag, um ihn auszuprobieren. Also stellte ich mir vor, wie wir da an unserem Berghang stehen, mit straff gespannter Schnur am breiten blauen Bauch des Himmels befestigt, und begnadet wirkten, irgendwie förderungswürdig.
Der erste Stolperstein kam mit der Nachricht, dass Throns Gutachterwahl torpediert worden war, und schon bald waren wir gezwungen, in letzter Minute einen Experten der Gegenpartei als Ersatz zu akzeptieren. Zudem war es windstill. In Erwartung unseres Rendezvous versuchten Meadow und ich, den Drachen mit Gewalt in den Himmel zu heben. Nach mehreren Versuchen blieb er flugunfähig im Gras liegen. Wir versuchten es erneut, und eine schurkische Böe riss den Drachen scharf zur Seite, wo er sich um den tiefhängenden Ast einer großen Birke schlang. Das war kein gutes Omen. Und ich – vielleicht machte ich Meadow nervös? – weil mich der ganze verdammte Mist nervös machte, aber dennoch – schlug vor, den Drachen zu bergen. Meadow müsste sich nur auf meine Schultern stellen und würde ihn, schätzungsweise, ganz leicht zu packen bekommen.
Meist ist es einfach, Meadow für solche Dinge zu begeistern. Man muss nur einen Hauch Intrige einstreuen, ein bisschen so tun, als wäre unsere kleine Aufgabe eine Staatsaffäre . (Wenn wir uns den Drachen nicht wiederholen, fallen die Stalinisten bei Anbruch der Dunkelheit über die Stadt her!) Doch an dem Tag wollte Meadow partout nicht mitspielen. Sie wirkte verstimmt und misstrauisch. Ich merkte ihr an, dass sie mit ihrer Mutter über mich geredet hatte. Im Grunde konnte ich ihnen keinen Vorwurf machen. Ich glaube, ich spreche hier für viele Eltern in Scheidung, wenn ich sage, dass einem bei einer Scheidung so viel Scheiße entgegenschlägt, dass die emotionale Not des Kindes im Zusammenhang mit einer ganzen Reihe von Problemen auftritt und dass diese Probleme so zahlreich sind, dass man beginnt, seine Hoffnungen an eine gerichtliche Beilegung als eine Art finale, ja fast atomare Lösung zu knüpfen, als etwas, das alles auslöscht, und bis dahin ist es eher ein, nun ja, Personal problem; man hat die Mitarbeiter nicht; es gibt nicht genug Selbste .
»Was ist los, Zuckerschnecke?«, fragte ich sie.
»Nichts«, antwortete sie.
»Sicher?«
»Ja«, sagte sie. »Ich glaub, mir ist heute nicht nach Party.«
»Na ja, dir muss ja auch gar nicht nach Party sein. Aber wenn nichts ist, könntest du dann einen winzigen Gang höherschalten? Ein klein wenig auf die Tube drücken? Du siehst aus, als wär dir jemand auf dein Hündchen getreten.«
»Ich hab doch gar kein Hündchen.«
»Eben. Jetzt komm. Ein kleines Lächeln für Papi. Bitte? Für mich?«
Sie schlenderte über den alten Spielplatz und hängte sich halbherzig ans Klettergerüst. Sie hatte einen alten lilafarbenen Pullover und durchgewetzte weiße Kniestrümpfe an. Ihre Haare hingen schlaff und rutschten ständig aus ihrem Haarband. Das war mal wieder so ein Moment, in dem ich einfach hätte gehen können, die ganze Sache abblasen, mich in Geduld und Versöhnlichkeit üben und uns allen alles Nachfolgende hätte ersparen können.
Doch irgendwo in der Nähe knallte eine Autotür zu, und sie kam auf uns zu – unsere potentielle Erlöserin.
Ich hatte noch nie einen solchen Menschen gesehen. Das Gesicht der Frau war weiß und rund wie eine Kartoffel, die Haare dagegen schwarz und strohig. Auf ihren prallen Bäckchen lag ein Film von dunklen Pigmenten, die zu groß waren, um als Sommersprossen durchzugehen. An beiden Handgelenken trug sie schwarze Schienen. Sie stieg aus ihrem zerbeulten Toyota und kam mir mit leicht neuralgischem Gang entgegen. Obwohl sie zu den biedersten Frauen zählte, die mir je begegnet waren, weiß ich noch, wie ich dachte: Gut. Hier ist eine Frau, die mit mir mitfühlen kann. Warum sonst war sie auf dem Feld der Psychologie tätig, wenn nicht deshalb, weil sie selbst fürchterlich litt?
»Danke, dass Sie gekommen sind«, sagte ich und schüttelte nur die Finger ihrer Hand. »Ihr Gutachten bedeutet Meadow und mir unendlich viel. Wir wollen einfach nur diesen Streit beilegen und wieder ein normales Leben führen. Wir waren gerade beim Drachensteigenlassen –« Ich deutete auf das verknäulte Etwas in der Birke. »Schade, dass Sie’s verpasst haben. Meadow ist ein Ass im Drachensteigenlassen. Für ein Kind ihres Alters verfügt sie über eine beachtliche Feinmotorik. Bitte …« Ich
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