Schroders Schweigen
deutete auf einen Picknicktisch, auf dem ich eine Materialsammlung in Stellung gebracht hatte. »Ich möchte Ihnen ein paar Dinge zeigen.«
Die Gutachterin, eine gewisse Ms Sonja Vang, folgte mir. Ich pfiff nach Meadow. Sie lugte hinter dem Baum hervor und schüttelte flehend den Kopf.
Bitte , formte ich mit den Lippen.
Nein. Nein.
Für mich?
Nein.
Ich wandte mich Ms Vang zu, die mich mit ruhigen Augen musterte, und sagte: »Meadow ist anfangs immer ein bisschen schüchtern. Das gibt sich gleich.«
Die Frau zuckte mit den Achseln und stützte sich mit ihren Schienen gegen den Rand des Picknicktisches.
»Für mich«, begann ich, »ist die Vaterschaft keine Last. Sie ist mir keine Bürde. Wie ich weiß, gefallen sich manche Männer auf fast märtyrerhafte Weise darin, die Familie als Gefängnis wahrzunehmen, oder? Sie reden sich ein – diese These ist jetzt auf meinem Mist gewachsen –, dass sie, wenn sie sich keine Familie ans Bein gebunden hätten, na, irgendwo Bomben entschärfen würden oder Weltrekorde brechen oder weiß der Geier was. Diese Überzeugung dient ihnen dazu, sich a) eine Erklärung zurechtzulegen für ihre eigene Erfolglosigkeit und sich b) den nicht ganz so prickelnden Seiten der Kindererziehung zu entziehen – Sie wissen schon, was ich meine, Popoabwischen, dem Kind sagen, es soll leise sein, das Gemeckere, das gnadenlose Daseinmüssen für das Kind –, indem sie suggerieren, man habe sie in die Rolle hineingezwungen und somit von höheren Bestimmungen abgehalten. Verstehen Sie, was ich meine?«
Ich lächelte und wartete auf Zustimmung. Sonja Vang bewegte sich nicht, außer, um sich auf der Picknickbank zurechtzusetzen. Sie hechelte ein wenig. Mich überkam ein erster Anflug von Zweifel. Hatte die Gegenpartei einen Maulwurf eingeschleust?
»Gleich von Meadows Geburt an«, fuhr ich fort, »war ich in ihre Fürsorge mit eingebunden. Nicht, weil ich dachte, das gehört sich so. Sondern weil ich das so wollte. Als die Finanzkrise kam, bin ich ein Jahr mit ihr zu Hause geblieben, als Bezugsperson – ich war Hausmann –, womit ich mich doch vor jedem Gericht für das Sorgerecht qualifizieren müsste, aber das brauche ich Ihnen ja nicht zu erzählen, oder? Und so – nicht wahr – führte mein genaues Augenmerk während dieses Jahres zu dem, was ich heute als hochgradig verfeinertes Verständnis für ihre Bedürfnisse betrachte und für ihr Denken überhaupt. Kinder sind keine Rätsel. Wir müssen ihnen keine Zeichensprache beibringen wie den Gorillas. Nein. Wir müssen nur aufmerksam sein für das, was sie uns ohnehin sagen. Verstehen Sie, was ich meine?« Ich vergewisserte mich, ob Ms Vang mir folgen konnte; sie rieb sich mit der Unterseite ihrer Schiene die Augen. Hilflos fuhr ich fort: »Väter müssen nicht ›wie Mütter‹ sein. Männer sind nicht weich . Männer riechen nicht gut. Sie wissen schon, nicht blumig. Aber ein guter Vater kann eine Art abstraktes menschliches Interesse an dem Kind aufbringen, zu dem die Mutter außerstande ist. Ein guter Vater kann einem Kind helfen, seine Fähigkeiten vor einem breiteren gesellschaftlichen Hintergrund zu entwickeln. Ich habe eine Studie ausfindig gemacht« – ich schob ihr ein paar Ausdrucke aus dem Internet entgegen –, »die beweist, dass Kinder beiderlei Geschlechts psychologisch gesünder sind, wenn sie beim Vater als vormundschaftlichem Elternteil leben, weil – na ja, warum, können Sie ja selbst nachlesen.«
Die Frau nahm ein Etui aus ihrer zerknautschten Handtasche und zog eine Lesebrille hervor. Sie sah hinunter auf den Artikel.
»Ihre Schienen«, sagte ich, da ich irgendwann ihr Schweigen nicht mehr ertragen konnte. »Sind Sie gestürzt?«
Sie blickte nicht auf. »Überbelastung.«
Ich schob ihr mein nächstes Beweisstück hinüber. »Also, das ist jetzt reine Angeberei, aber dieses Papier wollte ich Ihnen unbedingt noch gezeigt haben. Das hat man mir gegeben, als Meadow drei war. Das Ergebnis eines IQ-Tests, den ein paar alte Kollegen drüben am medizinischen Zentrum mit ihr gemacht haben, einfach aus Jux.«
Leichte Verärgerung zog sich über das Gesicht der Frau. Ich ahnte, dass es langsam gut war.
»Dieses Material ist einfach insofern von Bedeutung, als ich das Gefühl habe – da ich ja selbst Wissenschaftler bin, und ich will Sie nicht mit den Feinheiten meiner eigenen Arbeit langweilen –, das Gefühl habe, als Meadows Vater mehr denn je gebraucht zu werden. Dieses begabte Kind braucht zwei Elternteile, die
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