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Schroders Schweigen

Schroders Schweigen

Titel: Schroders Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amity Gaige
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die Flasche dafür gegeben. Das Gelb kommt aus der Flasche.«
    »Also, ich mag deine Haare so, wie sie sind«, sagte ich. Aber ich hörte nicht zu. In mir regte sich ein gewisses und nur allzu bekanntes Vorglühen, das noch verschärft wurde durch die kurze Entfernung zwischen mir und Aprils Hütte. Ich erhob mich von den quietschenden Sprungfedern und gab Meadow ein Küsschen. »Dann schlaf mal schön, Hase.«
    Sie knipste die Taschenlampe an. »Wo gehst du hin, Papa?«
    »Nur kurz rüber. Um mit April zu reden. Kannst du damit bitte nicht in mein Gesicht leuchten? Das hab ich nicht so gern, Licht mitten ins Gesicht.«
    »Liest du mir noch ein Gedicht aus dem Kommen und Gehen der Vögel vor?«
    »Nein. Es ist spät. Alle Vögel sind gekommen und gegangen. Schließ die Augen, und wenn du sie aufmachst, ist es schon Morgen.«
    »Kann ich mit?«
    »Auf keinen Fall.«
    »Wann kommst du zurück?«
    »Bald. Oder wie du sagen würdest, einigermaßen bald.«
    »Ich hab Angst, alleine zu schlafen.«
    »Du schläfst ja nicht alleine. Wie gesagt, ich bin gleich wieder da.«
    »Nur noch ein Gedicht?«
    »Meadow –«
    »Kannst du wenigstens noch vor der Tür bleiben, bis ich eingeschlafen bin?«
    »Ist ja gut. Ist ja gut. Ich bin direkt vor der Tür. Schlaf jetzt.«
    Bis auf das Licht in Aprils Hütte lag alles in völliger Finsternis. Der Schein der Lampe ergoss sich über die kurze Distanz und stellte mich der Nacht gegenüber bloß. Eine Bewegung, und April würde mich unter dem Spitzensaum ihrer Fenstergardinen sehen können. Ich räusperte mich. Der See schwappte gegen das Strändchen, unsichtbar, dunkler als der Himmel. Ich lehnte mich gegen einen Baum mit großen nackten Wurzeln und trat die Erde hoch, die den Grill wie ein kleiner Kragen umfasste. Ich hörte Meadow Selbstgespräche führen, und ich sah, wie der Lichtstrahl ihrer Taschenlampe über die Decke der Hütte wanderte. Nach einigen extrem langen Minuten hielt der Lichtstrahl inne, und ich hörte nur noch den See. Drei oder vier Schritte weiter, und ich war in anderen Gefilden.
    April öffnete die Tür, sie stand hinter der Fliegentür, in einer Hand einen Drink und in der anderen eine zusammengerollte Illustrierte. Damit schob sie die Fliegentür auf.
    »Du solltest doch warten, bis ich klopfe.«
    »Die Spannung war zu viel für mich.«
    »Ich hatte auf ein Autogramm von dir gehofft.«
    April strahlte. »Ich geb dir was Besseres.«
    Das Kopfteil des Bettes war billig und krachte laut gegen die Wand, und ihre Beine waren sehr lang, und sie war stark und derbe und enthusiastisch, und keiner von uns beiden war sonderlich sauber oder höflich, und mir ging auf, dass es eine halbe Ewigkeit her war, dass ich so mit jemandem im Bett war, ich meine, ohne Sorge, ohne mich für irgendwelche Auswirkungen wappnen zu müssen. Es war lange her, dass ich die weite Wildnis der Lust zwischen zwei willigen Menschen betreten hatte – keine Gefahren, keine Klapperschlangen, keine Heimtücke. Aber ich konnte mich noch daran erinnern. Es gibt davon sogar ein Foto. Ein Motel in Delaware Bay auf dem Weg von Albany nach Virginia Beach. Wir hatten keinen Fotoapparat dabei, also besorgten wir uns in der Hotellobby eine Wegwerfkamera, dazu ein Päckchen Pistazien und einen Liter Root Beer. Wir standen unter der Dusche und wuschen uns gegenseitig die lange Fahrt von der Haut. Ich fand schwarze Körnchen in deinen Augenwinkeln und in deiner dichten Mähne. Ich shampoonierte dich ein, etwas grob, ein echter Dilettant; du hast nur gelacht. Die Sonne gibt uns den Tag, aber wer hat die Stunde erdacht? Was soll erreicht werden innerhalb ihrer Parameter? Wie lang soll eine Stunde sich anfühlen? Diese Stunde – diejenige, in der wir danach auf dem Bett lagen und einander im Unterwasserlicht ansahen, das so typisch ist für Motels am Rand der Straße –, diese Stunde scheint niemals zu Ende gegangen zu sein, und sie ist eine Art belebende Tortur für mich, und ich werde sie einfach nicht los.
    Wie bist du sie losgeworden?
    »Was gibt’s denn da zu weinen, Süßer?«, fragte April in dem Moment. »Nicht weinen. Komm, John. Sonst hab ich ein Scheißgefühl.«
    »Tut mir leid«, sagte ich und wischte mir die Tränen weg. »Du bist bildschön. Du bist gut. Ich mag dich. Es ist nur – es ist lange her, dass ich mich so« – ich suchte nach dem richtigen Wort – »nicht fehl am Platz gefühlt habe.«
    »Gut. Klar. Ist doch in Ordnung.«
    »Du gibst mir das Gefühl, nicht fehl am Platz zu sein.

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