Schroders Schweigen
traurig, dass du so schön warst.
FÜNFTER TAG
Das herrliche Wetter konnte nicht ewig anhalten. Während April und ich schliefen, zogen sich Wolken am Himmel über dem Lake Champlain zusammen, und in ganz ähnlicher Weise hatte sich auch unsere Stimmung verdüstert. Zurück in Hütte zwei klapperte Meadow mit den Flaschen im Minikühlschrank und suchte nach etwas Nichtvorhandenem. Sie war die Käsesandwiches leid. Warum ich keine Cornflakes gekauft hätte, wollte sie wissen. Normale Leute essen zum Frühstück Cornflakes. Und Obst. Frisches Obst. Drei bis fünf Portionen am Tag. Das weiß doch jeder. Ich sah sie durch die Hütte streifen, ich konnte mich noch immer nicht an ihre neue Haarfarbe gewöhnen. Leider waren die Haare nicht goldblond wie bei Rapunzel. Die Farbe erinnerte an verdorrten Mais. Sie muss irgendetwas falsch gemacht haben. Ich folgte ihr, umfasste immer wieder den trockenen Haarstrang. Beim Blick ins Bad wurde mir von den verschmierten Handtüchern und dem fleckigen Waschbecken übel.
Nachdem sie mich und April überrascht hatte, war ich schnell in meine Sachen geschlüpft und ihr nachgerannt. Nun würdigte sie mich kaum eines Blickes, was ich nachvollziehen konnte. Ich brauchte dringend eine Dusche. Und einen Waschsalon. Nein. Ich brauchte ein Feuer. Ich wollte alles, was ich anhatte, verbrennen und noch mal von vorn anfangen. Ich roch nach Zigarren, nach April, nach Regen und nach Wodka, und mein Gesicht war aufgedunsen wie so oft morgens nach einem Alkoholexzess. Meadow saß an dem kleinen Tischchen im Essbereich der Hütte, stützte ihren großen weißen Kopf in eine Hand, biss eine Ecke der letzten Toastbrotscheibe ab und stierte dabei auf die Plastiktischdecke. Herrgott, dachte ich, was würde bloß ihre Mutter denken? Das machte mir fast noch mehr Angst als das juristische Nachspiel.
Und unser Fluchtauto! Ich sah aus dem Fenster, dort stand es im Frühnebel. Welcher Trottel klaut schon ein Auto mit weißen Rallyestreifen? Das Auto konnten wir vergessen. Wir waren damit kreuz und quer durch North Hero gefahren und davor durch Swanton. Es war eine Falle auf vier Rädern, die reinste Werbetafel, verdammte Scheiße. Der einzige Ort, an dem wir garantiert unsichtbar waren, war genau dieser hier, das wusste ich, aber hier konnten wir nicht bleiben. Offensichtlich war Meadows anfängliche und ohnehin mäßige Begeisterung für unsere Reise geschwunden. Großer Gott, sie hatte mir die ganze Zeit nur einen Gefallen getan. Das war mir klar.
Aber was wollte ich eigentlich? Nur noch ein bisschen Zeit. Aber wofür eigentlich? Was hatte ich Spektakuläres damit vor? Ich wollte nicht bloßgestellt werden – ich würde so viel verlieren –, wohl wissend, dass es nur eine Frage der Zeit war. Ich griff nach der nächsten Stuhllehne und drückte sie, bis mir die Hand wehtat. Es war noch nicht alles erledigt. Ich war noch nicht fertig. Es würde mir noch einfallen.
»Meadow«, sagte ich. »Sieh mich an, bitte.«
Ohne die Hand vom Kinn zu nehmen, schaute sie mich von unten an.
»Warum bist du traurig? Gefallen dir deine Haare nicht?«
Hastig griff sie sich an den Kopf und hielt sich eine Strähne vors Gesicht. »Doch. Find ich total gut.«
»Na ja, vielleicht sollten wir sie wieder umfärben. Ich sag’s nur ungern, aber deine echten Haare fehlen mir ein bisschen –«
»Nein. Nein danke.« Entschlossen schüttelte sie den Kopf. Ihre Augen wurden feucht, aber sie ließ keine Tränen zu. Sie wirkte schüchtern mir gegenüber, als wäre ihr aufgegangen, dass ihr meine Gesellschaft weitaus weniger guttat, als sie bis dahin angenommen hatte.
»Also. Was hast du? Was stimmt nicht?«
Sie zuckte mit den Achseln. »Ich versteh einfach nicht, warum wir mit April befreundet sein müssen.«
»Ach so«, sagte ich erleichtert. »Na ja, wir müssen ja gar nicht mit April befreundet sein. April und ich sind wie Schiffe in der Nacht. April und ich sind – zwei Kleidungsstücke, die sich aus Versehen im Trockner verknäult haben. April und ich haben uns gegenseitig ein wenig Trost gespendet. Ich konnte ihr ein wenig Trost spenden und sie mir. Verstehst du, was ich meine?«
»Nein. Was soll die ganze Mühe? Warum spendest du dir nicht einfach selber Trost?«
»Das tu ich ja«, sagte ich mit belegter Stimme, und die Zweideutigkeit war mir nur allzu bewusst. »Ich spende mir allzu oft selber Trost. Das ist aber nicht dasselbe. Man möchte hin und wieder auch mal von jemand anderem getröstet
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