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Schroders Schweigen

Schroders Schweigen

Titel: Schroders Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amity Gaige
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ein Café, rezitierte ein Gedicht und verschenkte seinen ruhmreichsten Moment an einen müden Haufen wildfremder Menschen. Anschließend durchlief er verschiedene Phasen der Methadonsucht, Armut und Inspiration. Es war, als versuchte er, sein Leben noch zu Lebzeiten auszuradieren. Er schrieb seine Gedichte auf Papierservietten und Zeitungen, auf allem, was verweht werden kann. »Ich will anonym sein«, verkündete er einmal. »Mein Ehrgeiz besteht darin, vollkommen vergessen zu werden.«

TIEF BEGRABENES
    »Also«, sagt mein Pflichtverteidiger. »Das mit Ihrem Vater stimmt. Er ist vor drei Jahren verstorben. Ich vermute, da er keine Adresse von Ihnen hatte – da es keine anderen lebenden Verwandten gibt – hören Sie, niemand kann was dafür. Es ist nun mal passiert. Er ist eines natürlichen Todes gestorben. Laut medizinischem Gutachten an den Folgen einer Lungenentzündung. Er war zweiundsiebzig.«
    Ich schweige. Mein Verteidiger rückt seinen Stuhl zurecht. Der Typ ist absurd jung. Schlank, olivfarbener Teint. Pakistani, befinde ich. Frischgebackener Jurist. Sie haben ihn bestellt, um meine Auslieferung auf den Weg zu bringen, damit ich hier wegkomme. Danach werde ich mir einen neuen Anwalt suchen müssen – nicht Thron, sondern einen qualifizierteren, der mit Leuten wie mir umgehen kann. Jemanden mit vielen Schichten. Ich betrachte die Fingernägel meines Verteidigers (makellos), seine Krawatte (Seide) und schließlich sein Gesicht, seinen Blick, der von unterwürfiger Bereitschaft zeugt. Aber ich betrachte ihn wie vom Grund eines tiefen Brunnens aus. Es gibt nichts, was ein so junger und angenehmer Typ für mich tun kann.
    »Tut mir leid«, sagt er schließlich. »Mein Büro versucht gerade, den Besitz Ihres Vaters ausfindig zu machen. Was noch da ist, gehört Ihnen. Vielleicht helfen Ihnen diese Gegenstände weiter?«
    Ich schweige. Mein Verteidiger sieht aus, als wäre ihm nicht ganz wohl in seiner Haut. Er tut mir leid. Sein jugendliches Aussehen muss ihn manchmal ganz schön nerven.
    »Und was Ihre Noch-Ehefrau angeht«, fährt er fort, »sie ist, na ja, ziemlich aufgebracht. Sie hat sich bereit erklärt, vorbehaltlos mit der Anklagebehörde zu kooperieren, also Albany County, wo auch Sie bald sein werden, sobald«– er wirft einen Blick über seine Schulter hinweg, als hätte mein Aufseher sein Stichwort verpasst, um einzutreten –, »sobald jemand zur Verfügung steht, der Sie fahren kann. Es wird eine vorläufige Anhörung geben. Und Ihre Frau wird bei dieser Anhörung aussagen müssen. Wobei Sie auch darauf hoffen könnten« – mein Verteidiger hält inne und sucht unbeholfen nach einem positiven Aspekt –, »dass sie, wenn sie sich beruhigt hat – wenn ihre Wut verraucht ist –, sie vielleicht nicht wollen wird, dass Sie für immer hinter Gitter kommen. Was ich meine, ist« – mein Verteidiger stößt ein angespanntes Lachen aus –, »man kann Sie gar nicht für immer einsperren. Fünfundzwanzig Jahre sind die Höchststrafe für eine derartige Straftat. Das klingt natürlich wie eine Ewigkeit. Auf Kindesentzug – statt Kindesentführung – steht eine Höchststrafe von vier Jahren. Schon besser, oder?«
    Wortlos erwidere ich seinen Blick.
    »Es wird Anklage erhoben wegen möglichen Betrugs. Sie leben unter falschem Namen. Damit stehen Sie unmittelbar unter Verdacht. Um ehrlich zu sein, Sie werden sich eventuell zweimal verteidigen müssen. Sowohl als Eric Kennedy als auch als – als« – er wirft einen Blick in seine Unterlagen – »Schroder.«
    Ich räuspere mich, ohne ihm zu antworten.
    »Ihre Mitwirkung wird entscheidend sein. Damit Ihre Anwälte alles für Ihre Verteidigung tun können. Sie müssen die Karten auf den Tisch legen. Was Ihre Ehe und ihr Familienleben und vor allem Ihre Vergangenheit betrifft –« Er hält inne, sieht mich forschend an, wartet. »Sie könnten gerade mal ein Jahr bekommen, wenn Ihre Geschichte hieb- und stichfest ist. Gestern haben Sie den Ermittlern gesagt, Sie seien bereit zu einer Stellungnahme. Dann haben Sie sich’s offenbar wieder anders überlegt.«
    Ich schweige. Ich spiele mit dem Gedanken, ihm zu erklären: Hören Sie, es ist nichts Persönliches. Ich habe einfach nur ein Schweigegelübde abgelegt. Ich werde kein Wort sagen, bis ich etwas gehört habe von meiner Tochter oder von meiner Frau. Von jemandem, dem ich vertrauen kann. Jemandem, den ich kenne.
    »Versetzen Sie sich mal in die Lage Ihrer Frau«, fährt er fort. »Sie hat gerade

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