Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schroders Schweigen

Schroders Schweigen

Titel: Schroders Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amity Gaige
Vom Netzwerk:
Verkäuferinnen und Tankwarten verstricktest, während ein blauer Strahl Slurpee spiralförmig deinen Halbliterbecher füllte. Und so begriff ich bereits früh in deiner Schwangerschaft, welch neutralisierende Wirkung diese Veränderung auf dich haben sollte. Sie hatte dich gepackt, die große normalisierende Kraft der Elternschaft.
    Wir, wir alle, haben einen Körper. Keiner von uns darf ohne sein. Wir alle kommen auf dieselbe Weise auf die Welt, und wir alle verlassen sie, indem wir sterben. Vielleicht hat dein schwangerer Körper dir die Erkenntnis abgerungen, dass du letzten Endes genauso warst wie alle anderen. Du hattest immer dazugehören wollen. Vielleicht war dieser Drang auch mit ein Grund, warum wir dein letztes Trimester damit verbrachten, auf der Tribüne des kleinen Stadions zu sitzen und die Spiele unserer heimischen Baseballmannschaft zu verfolgen. Meine Arbeitszeiten als Makler ermöglichten uns solche Nachmittage. Eine Zeitlang genoss ich meine Rolle als Ellenbogenstütze, Witzeerzähler, Pommesholer. Doch der Sommer schritt voran, und du wolltest partout nicht aufhören, zu den Spielen zu gehen, und das hat mich offen gestanden verwirrt. Ich kann mit Baseball nichts anfangen, und das wusstest du. (Diese Sportart macht mich ganz zappelig mit ihrem verdächtigen Mangel an Bewegung, der angespannten Stille und den gelegentlichen Ausbällen, bei denen sich irgendein Zuschauer auf der Tribüne eine Gehirnerschütterung zuzieht.) Aber du. Warst das wirklich du neben mir, beim Anfeuern der Spieler, und zwar mit Namen?
    Doch wenn ich versuchte, aus der Nummer rauszukommen, hast du darauf beharrt, dass ich mitgehe. Ohne mich würdest du nervös, sagtest du. Allein fühltest du dich verletzbar und schwanger. Außerdem liebtest du meine Gesellschaft. Meine Flunkereien, meine Witze, mein unnützes Wissen, mein Talent, Sprachen zu parodieren. Also kam ich weiterhin mit, aber ich war misstrauisch geworden. Hattest du irgendetwas an mir entdeckt, etwas Fremdes? Ich war so vorsichtig, was meinen Akzent anbelangte, vorsichtig, was mein Deutschsein anbelangte. Aber vielleicht war mir, selbst nach dreißig Jahren Übung, etwas Offensichtliches entgangen. Etwas, was auf der Hand lag. Damals schaute ich mich immer auf der heißen Aluminiumtribüne um, sah die amerikanischen Männer mit ihren Bürstenhaarschnitten und fragte mich voller Sorge, ob ich diesen Männern mehr hätte ähneln sollen, ob es das war, was du im Grunde deines Herzens wolltest, und ob ich notfalls dazu in der Lage wäre.
    Was war denn so inakzeptabel an mir und meiner Art? Ich dachte eigentlich, ich hätte alles ganz gut hingekriegt. Ich war erfolgreich im Job. Zugegeben, der Markt boomte, aber ich schlug meine Objekte genauso schnell los, wie ich sie annahm. Es waren nur kleine Ranchhäuser und Bungalows, doch es läpperte sich zusammen. Die Leute schienen mich zu mögen. Lange bevor Energiesparen zum Trendthema wurde, hatte ich eine skurrile schulmeisterliche Art, meine Kunden zum Nachdenken über Einsparpotentiale zu bewegen (zum Beispiel im eigenen Garten einen Grundwasserbrunnen zu bohren). Zugleich appellierte ich an ihr Faible für besondere Dinge. Sehen Sie nur dieses Bleiglasfenster , sagte ich etwa . Sehen Sie nur, den vergessenen Heuhaufen dort. Kommen Sie mal her und sehen Sie sich diese vergilbte Lithographie vom Dachboden an, eine bildschöne tote Frau. Außerdem war ich jung und sah einigermaßen gut aus. Konventionell, immer ein sauberes Hemd. Meine Haare waren mit den Jahren nachgedunkelt, aber noch immer von einem dunklen Blond, fast rotblond an den Wurzeln. In meinem himmelblauen Flanellhemd und in Gummistiefeln, mit meinem Namen auf der Tür meines sauberen Saturn, darunter der renommierte Firmenname Clebus & Co., war ich ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft.
    Aber manchmal, mitten in einem Baseballspiel, wenn ich so dasaß mit meiner kegelförmigen Tüte Pommes und meinen vielen potentiellen Kunden ein Lächeln schenkte, überkam mich ein Grausen. Was hatten wir getan? Warum haben wir nicht einfach so weitergemacht, du und ich? Du und ich und die Wintermorgen und die Zeitung und die Gespräche und die Nichtgespräche und die Gedichte und das Überwässern der Blumen aus Zerstreutheit? Warum hatten wir nicht den Mut, auf diese Weise alt zu werden? Warum ein Kind in die Welt setzen? Warum versuchen, diesen Gipfel zu bezwingen?
    Aber wir waren schon zu weit fortgeschritten. Das heißt, du warst schon zu weit fortgeschritten.

Weitere Kostenlose Bücher