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Schroders Schweigen

Schroders Schweigen

Titel: Schroders Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amity Gaige
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Nachbarzimmer trat eine Schwester mit einem Tablett Pappbecher. Sie sah mich, ging eilig zurück ins Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Überall auf dem Korridor klappten die Türen zu.
    »Sie wird denken, ich hätte sie verlassen«, weinte ich meinem Häscher ins Ohr. »Sie wird denken, ich hätte sie im Stich gelassen. Ich habe gesagt, ich bin gleich wieder da! Ich hab’s ihr versprochen!«
    »Sie stecken so was von in der Scheiße, Freundchen. Sie haben jetzt ganz andere Sorgen.«
    »Sie verstehen das nicht«, sagte ich. »Andere Sorgen sind mir egal. Es gibt keine anderen Sorgen .«
    »Kommen Sie mal runter. Wenn Sie kein Theater machen, können wir hier zusammen das Gebäude verlassen. Wir haben Sie aus dem Zimmer geholt, damit sich die Kleine nicht aufregt.«
    »Aber sie wird sich aufregen, wenn sie feststellt, dass ihr Vater weg ist!«
    »Sie haben hier überhaupt nichts zu melden.«
    » Bitte .«
    »Halten Sie jetzt die Klappe.«
    »Dann rufen Sie ihre Mutter an«, sagte ich.
    »Sie ist unterwegs. Wir haben sie ausfindig gemacht. Sie sitzt seit einer Woche neben dem Telefon.«
    »Lassen Sie mich hierbleiben, bis sie da ist. Ich will ihr das alles selber erklären.«
    »Wollen Sie mich auf den Arm nehmen ? Sie waren überall in den Nachrichten. Haben Sie denn gar nichts mitgekriegt?«
    »Rufen Sie meinen Vater an. Er lebt hier in Boston. Er gehört zur Familie.«
    »Vergessen Sie’s.«
    Ich nickte und sah all die Hände auf mir.
    Dann brüllte ich: »MEADOW KENNEDY! ICH BIN HIER! DEIN VATER IST HIER DRAUSSEN!«
    Und wurde im selben Moment gegen die Wand gestoßen.
    Sie hielten mich fest. Ich weinte. Ich wollte auf die Beamten einreden, aber außer einem Flüstern brachte ich nichts heraus. Erstaunlich, wie sie mich fortbewegten, mich wie ein Kind unter den Armen packten und davonschleppten. Meine Füße rutschten auf dem Linoleum. Ich versuchte mitzuhalten, doch meine Gefühle – ein jäher Ausbruch – ließen keine klaren körperlichen Empfindungen mehr zu. Die Beamten schoben mit meinem Kopf die Schwingtür auf, und wieder standen wir im hellen Sonnenzimmer, und der Tag brach an.
    »Ist ja gut, ist ja gut«, sagte ich. »Sehen Sie. Ich mache kein Theater. Nicht mal ansatzweise. Lassen Sie mich alleine gehen.«
    Sie hielten inne, sahen mich an und justierten ihren Griff. Wir standen zusammen vor einem Halbrund aus Stühlen und einem guten Dutzend unschuldiger Zuschauer, die mit der Morgenzeitung dasaßen und uns fassungslos ansahen.
    »Alles unter Kontrolle«, sagte ich. »Und ich sehe, da wartet auch schon ein Polizeiwagen auf mich. Ich werde jetzt ganz ruhig hier rausgehen, wenn Sie vielleicht einfach nur meiner Tochter etwas sagen könnten. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie ihr wenigstens etwas ausrichten würden. Ja?«
    Der Polizist zuckte mit den Schultern.
    »Spricht jemand von Ihnen Deutsch?«
    Alle drei sahen mich nicht eben wohlwollend an.
    »Gut. Dann sagen Sie ihr bitte Folgendes: Ich liebe dich und werde dich immer lieben. Und sagen Sie ihr auch: Danke. Danke. Das war die schönste Zeit meines Lebens. Okay? Bitte. Bitte richten Sie ihr das aus.«
    Wieder fing ich an zu weinen.
    »Was soll die Scheiße?«
    »Sie gehören in die Klapse, Freundchen. Sie können sich auf was gefasst machen.«
    »Sagen Sie ihr das. Es ist für sie .«
    »Herr im Himmel.«
    »Ich schreib’s auf, ja?«, rief ich. »Sie können’s ihr dann geben. Sie wird es verstehen.«
    »Hey«, sagte einer der jüngeren Polizisten und schob mich durch die Drehtür in die kalte Luft. »Tun Sie sich den Gefallen und halten Sie verdammt noch mal die Klappe, ja?«

GRÜNDE ZU SCHWEIGEN
    Bedauerlicherweise kommt man bei jedem Forschungsprojekt an einen Punkt, wo persönliche Interessen zum Hemmschuh werden. Man verliert die Fährte des eigentlichen Projekts und nimmt sie anschließend nie wieder auf. Ungefähr ein Jahr lang glaubte ich, meine »Experimentelle Enzyklopädie« ausarbeiten zu können, um nicht nur berühmte Gesprächspausen zu untersuchen, sondern auch Personen oder Personengruppen, die sich durch Schweigen hervorgetan haben. 13 Dennoch schoss ich mich auf das ein oder andere ein, zum Beispiel auf einige faszinierende und letztlich fruchtlose Recherchen zu Abbas Diadochus, dem Bischof von Photiki aus dem fünften Jahrhundert. Wie insgesamt bei dem Projekt war ich wohl weniger interessiert an Vielfalt oder Vollständigkeit meines Materials als an den so interessanten wie blödsinnigen Schnörkeln, auf die ich

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