Schroders Schweigen
Im achten Monat warst du eine bildschöne Glasglocke zum Schutz deines süßen Schatzes. Du warst eine Schlange, die verliebt war in das, was sie verschluckt hatte. Mit angewinkelten Ellenbogen lehntest du dich gegen die Tribüne, du blicktest über deinen eigenen Horizont hinweg, dein T-Shirt war der anstehenden Aufgabe kaum gewachsen, ein Streifen nackter Haut schaute über dem Gummisaum deiner Shorts hervor. Dann und wann während des Spiels riefst du – lauf lauf lauf lauf lauf! Und deine Begeisterung trug dazu bei, dass es mir fast besser ging. Du, diese liebliche Vision des Lebens, brülltest Leute an, die dich nicht mal hören konnten. Ich bemühte mich, mich zu entspannen und den Ausklang deiner Schwangerschaft zu genießen. Doch am Ende war meine Angst vor der Vaterschaft nur eine gesteigerte Version der Angst aller Männer. Die Vorahnungen sind im Allgemeinen richtig: Man wird sich verlieben in das, was es auf einen abgesehen hat.
Lauf lauf lauf lauf lauf!
Man weiß, wer man ist. Dieser noch halbwegs junge Mann, der ins Ungewisse geworfen wird, und eines unschuldigen Abends geschieht es. Der Besuch ist da.
Schnell ins Krankenhaus! Such deine Sachen zusammen! Deine Tasche! Mach das Licht aus. Nicht trödeln! Man prescht an die Tür, nur um festzustellen, dass man seine Frau vergessen hat, diese Mystikerin, die vornübergebeugt in der Küche sitzt und stöhnt. Sie will jetzt nicht los, aber sie muss jetzt los! Gib ihr eine Sekunde! Sie zittert; ist das normal? Nein! Nein, es ist überhaupt nicht normal! Aber irgendwie ist das Telefon wie eingebuttert und flutscht einem aus der Hand, und man kann weder im Krankenhaus nachfragen noch den Krankenwagen rufen. Weitaus besser, die Frau wieder geradezubiegen und ins Auto zu verfrachten! Weitaus schneller, als auf den Krankenwagen zu warten! Aber darf man sie, wie einen möglicherweise Gelähmten, vielleicht auf gar keinen Fall bewegen? Kann das Baby beim Aufstehen kaputtgehen ? Mehrere peinliche Momente vergehen, während die Frau aufs Linoleum starrt. Ihr Gesicht ist das eines Stierkämpfers, der soeben durchbohrt worden ist. Kann sie sprechen? Nein! Ist das normal? Alles Wissen schießt zischend aus dem Kopf wie Luft aus einem Autoreifen. Alles, was einem dazu einfällt, ist, ich habe dich geliebt , und damit meint man, ich habe mein Bestes gegeben, aber jetzt sehe ich, dass du sterben wirst, und es ist meine Schuld, und ich will einfach nur noch mal zu Protokoll geben, dass ich dich wirklich geliebt habe. Es war nicht meine Absicht, dich zu töten! Diese Bemerkung lässt die Frau in den Wehen aufmerken.
Was hast du gesagt?
Ich sagte, ich liebe dich!, ruft man und zieht sich ihren Arm über die Schulter und schleppt sie aus der Tür. Ich liebe dich! Tut mir leid, dass ich dir das angetan habe!
Du hast mir nichts angetan, du spinnst ja, sagt die Frau lachend.
Die Wehe muss vorbei sein. Jetzt lehnt sie sich in ihrer ganzen Üppigkeit an einen, als hätte man alle Zeit der Welt. Die Wehen machen sie blöd im Kopf. Im Licht der Straßenlaterne unter der Wohnung glänzt der Schweiß auf ihrer Stirn. Man kämpft mit dem Hausschlüssel.
Wir haben uns das angetan, stellt sie klar. Und übrigens, ich liebe dich auch. Ich bin so froh, dass du in mein Leben getreten bist. Weißt du das eigentlich? Weißt du das?
Manchmal weiß ich es, sagt man.
Ich bin, sagt sie. So froh. Ich liebe dich den ganzen Tag, in aller Stille. Ich bin immer so – sie sucht nach dem richtigen Wort – irgendwie phantasielos gewesen. Ich kann so eine Spaßbremse sein, das weiß ich. Aber in deiner Nähe fühle ich mich unbeschwert. Das Leben fühlt sich gut an und leicht und beschwingt. Ich fühle mich inspiriert . So fühle ich mich, wenn ich mit dir zusammen bin.
Das Herz wummert, man wirft ihr einen Blick zu. Man glaubt ihr. Man wünschte, man könnte stehenbleiben und sie dazu bringen, das alles noch mal in ein Aufnahmegerät zu sprechen, aber man weiß, dass man wahrscheinlich nur ein bis zwei Momente hat, bevor man sie an die nächste Wehe verliert, und man muss mit ihr weiter, man muss dafür sorgen, dass sie sich konzentriert , denn auch wenn die Übungen aus dem Geburtsvorbereitungskurs im Gemeindezentrum nützlich waren – eines bekam man dort nicht beigebracht: Wie bringe ich auf der Rückbank meines Autos mit Flaschenöffner, Taschenlampe und einem Stadtplan von Albany und Umgebung mein Kind zur Welt?
Madam , sagt man und öffnet die Beifahrertür.
Und dann sitzt sie fertig
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