Schroedingers Schlafzimmer
gewesen über den Umbau des »Le-Corbusier-Hauses«, wie auch sie die von Schrödinger erworbene Immobilie zu nennen pflegte. Sie entlockte den Handwerkern, diesen ewig wortkargen Seelen, wichtige Renovierungsdetails, und es gelang ihr als »unmittelbar betroffene Anwohnerin« beim zuständigen Bauamt (nicht ganz legal) Einsicht in die Flurkarten zu nehmen. Sie analysierte die architektonischen Entwurfszeichnungen aus den zwanziger Jahren, die als vergilbte Originale in irgendeinem Archiv die Zeiten überdauert hatten, und ihre Recherchen förderten in etwa folgende Geschichte zutage: Das »Le-Corbusier-Haus« war von einem gewissen Ulf von Schwielow in den späten neunzehnhundertzwanziger Jahren entworfen worden. Von Schwielow (fand Helma auf irgendeiner Internetseite) hatte in der Gruppe um Walter Gropius kurzzeitig eine aufstrebende Rolle gespielt, bis er auf geheimnisvolle Weise verschwand. Sein damaliger |35| Auftraggeber, ein mittelständischer Handschuhfabrikant aus Vorpommern, lebte mit seiner Familie nur zwei oder drei Jahre in dem avantgardistisch konzipierten Haus. Danach verkaufte er es nach einer Reihe von offenbar glücklosen Spekulationen. Helma kannte ein altes Ehepaar, das bereits seit siebzig Jahren im Viertel ansässig war. Die beiden erzählten ihr bei Kaffee und Kuchen, daß der ambitionierte Bau ungewöhnlich häufig den Besitzer gewechselt hatte. In den siebziger Jahren ließ ein ungarischer Nachtclubbesitzer einen Swimmingpool mit einer direkt aus dem Schlafzimmer im ersten Stock hinausführenden Wendeltreppe als Direkteinstieg anbauen. Doch kaum war der Swimmingpool fertig, wurde der Ungar bei einer Auseinandersetzung im Rotlichtmilieu erschossen. Ein junger Architekt und Stilpurist ließ den Pool in den späten Achtzigern wieder zuschütten und die Treppe entfernen, kurz bevor seine kinderlose Ehe zerbrach und das Haus erneut den Besitzer wechselte. Es wurde vermietet und verkam zusehends. Die Bäume begannen die Fassade zu überwuchern, der Putz blätterte ab, und schließlich wollte niemand mehr darin wohnen. Unter den Anwohnern im Viertel setzte sich die Meinung durch, daß irgendwann eine junge Familie die Immobilie erwerben und das Haus vermutlich abreißen würde. Nun war es zur Überraschung aller anders gekommen. Helma Kienapfel befand, daß das Haus für eine einzelne Person im Grunde viel zu groß sei. Aber natürlich konnte man nicht wissen, wie viele Räume ein Zauberer wirklich brauchte und ob es beispielsweise einen Bedarf für Laboratorien und Werkstätten gab. Sonderbarerweise ging niemand – weder Helma noch Do |36| noch eine ihre Freundinnen, Bi Odenthal oder Heike Degen oder irgendwer – je davon aus, Balthasar Schrödinger könnte verheiratet sein und Familie haben. Daraus läßt sich vielleicht schließen, daß der spirituelle Ruf von Zauberern dem vom Priestern oder Asketen gleicht. Man nimmt an, daß ihnen bestimmte menschliche Aktivitäten wie Familiengründung oder Fortpflanzung nicht viel bedeuten, weil sie
wissen
, daß die materielle Welt nur ein großangelegtes religiöses oder philosophisches oder psychologisches Täuschungsmanöver ist. Doch wie auch immer: Es stellte sich schließlich heraus, daß Balthasar Schrödinger tatsächlich unverheiratet war. Und damit ergab sich als eine der ersten Fragen, die in nächster Zeit von den Bewohnern des Viertels zu beantworten sein würden (beispielsweise bei solchen Abenddiners in intimer Runde, wie Helma Kienapfel sie mit großer organisatorischer Perfektion zu veranstalten wußte), wozu der frisch hinzugezogene Zauberer die sieben Zimmer des »Le-Corbusier-Hauses« im einzelnen eigentlich brauchte.
Do stand mit einen Blumenstrauß und einer Flasche Wein als Gastgeschenk in der Hand in Helmas Vorgarten und wartete auf Oliver, der das Gartentor schloß. Der Weg zur Haustür war malerisch angelegt. Unregelmäßig gebrochene gelbe Natursteinplatten führten an einem mückenumschwirrten Ginster und zwei üppig austreibenden Rosenstöcken vorbei. Die Abendsonne flimmerte golden durch die noch lichten, frisch belaubten Kronen der Birken im Garten. Über allem lag (wie sollte es auch anders sein) ein sehr frühlingshafter Zauber.
|37| Helma Kienapfel war eine große breite Blondine. Die Brauen über den blaßgrünen Murmeln ihrer Augen waren unentwegt in lebhaftester Bewegung. Sie gehörte zu jenem Typus von Frauen oder Alltagszauberinnen, in deren Kraftfeld alle Dinge kuschen; in Helmas Haushalt herrschte
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