Schroedingers Schlafzimmer
in sich nach einer Empfindung, die einigermaßen zu der erotischen Erwartungshaltung paßte, mit der Oliver in ein paar Minuten das Zimmer |13| betreten würde. Sie horchte in ihren Körper hinein und fand dort neben einer schwelenden abendlichen Müdigkeit eine Art Unvollständigkeit ihres Wesens, ein fadenscheiniges Ich. Außerdem (so stellte sie im weiteren fest) fröstelte sie. Es war, als zirkulierte eine unterschwellige, bald ausbrechende Infektion in ihren Adern. Durch die Fensterscheibe meinte sie sogar zu spüren, wie deutlich sich die tagsüber von der Sonne erwärmte Luft wieder abgekühlt hatte. Klare Nächte bedeuteten Frost. Im Westen verabschiedete sich der Märztag mit einem beinahe romantischen Dämmerungsfinale. Das Blau über den Dächern war malerisch: angesiedelt irgendwo zwischen dem einer Delfter Kachel und dem Farbton einer bestimmten Art von Blumenvasen, vor kurzem neu ins Sortiment aufgenommenen Art-déco-Nachbildungen, die sich erfreulich gut verkauften.
Do glaubte in der glasklaren Transparenz der Luft noch die Nähe zum Winter zu spüren und legte die Hand auf den Heizkörper; er war kalt. Oliver und sie vertrugen die trockene Zentralheizungsluft nachts nicht. Sie bekamen dumpfe, hartnäckige Kopfschmerzen davon. Zu einer Zeit, als diese noch ziemlich teuer und exotisch gewesen waren, hatten sie hypoallergene Mikrofaserdecken und Antimilben-Matratzenschoner angeschafft. Oliver sagte immer (und er hatte gewiß recht damit), Heizkörper seien Startrampen für Viren und Bakterien aller Art. Andererseits (dachte Do) konnte man sich nicht in einem Kühlschrank lieben. Mit ihrer Doppelfunktion als Stätten sowohl der Nachtruhe als auch des Liebesmiteinanders waren Schlafzimmer Räume mit eigenartig unklarer Bestimmung. Entspannt |14| zu schlafen und befriedigenden Sex zu haben war jedenfalls nicht dasselbe.
Do gab es auf, in sich hineinzuhorchen, um ein Fünkchen Lust auf Sex in sich aufzuspüren. Oliver putzte sich die Zähne, und sie lauschte auf das helle, mechanische Hin und Her der Zahnbürste und das anschließende Spülen und Gurgeln. Oliver gurgelte auf eine kurze eruptive Art, als müßte er aus der Tiefe seines Rachens einen Fremdkörper hervorholen, eine Gräte oder ein Haar. Do zog die Fensterrollos herab und schaltete ihre Nachttischleuchte ein. Meistens liebten Oliver und sie sich im schwachen Schimmern der Gaslaternen, das durch die Vorhänge drang. Die unfaßliche phosphoreszierende Helligkeit verlieh ihren Liebesgebärden substanzlose Flüchtigkeit, etwas Verwischtes und Traumhaftes. In Dos Träumen war die Liebe eine Verdichtung von Gefühlen, nicht von Materie. Sie begann, sich auszuziehen, und hoffte, lesend (mit Brille) im Bett zu liegen, bevor Oliver fertig wäre. Doch in diesem Moment öffnete sich die Badezimmertür. Gehüllt in seinen knielangen flaschengrünen Frotteebademantel kam er hinein und brachte den Geruch von warmem Wasserdampf und Shampoo mit ins Zimmer.
»Wir hätten die Heizung andrehen sollen«, stellte er fest und setzte sich auf die Bettkante. »Was meinst du, sollte ich vielleicht den kleinen Heizlüfter aus dem Keller holen. Er müßte irgendwo beim Werkzeug stehen.«
»Besser nicht«, sagte sie, »es ist zu staubig dort unten. Wir bekämen auf der Stelle Asthma.«
»Du übertreibst. Gasthermen arbeiten staubfrei.« Mit Daumen und Zeigefinger zwirbelte er sich ein mitgebrachtes |15| Wattestäbchen ins Ohr. »Ich bin jeden Tag froh, daß wir den alten Ölbrenner rausgeschmissen haben, auch wenn einen die Gasversorger mit ihren Fantasiepreisen gnadenlos über den Tisch ziehen. Wird Zeit, daß diesen Monopolgangstern endlich jemand das Handwerk legt.«
Die Erinnerung an den Kauf und die Renovierung des Hauses vor fünf Jahren rief Do etwas ins Gedächtnis, das sie Oliver schon den ganzen Abend über hatte erzählen wollen. Es war eine Neuigkeit, die möglicherweise geeignet war, ihn von dem Gedanken an Sex abzubringen. Sie sagte: »Ach weißt du übrigens, was Helma zu berichten wußte?«
»Wie sollte ich?« Er fuhr mit dem Handtuch, das er sich wie ein Boxer um den Nacken gelegt hatte, über die Haare am Hinterkopf, der einzigen Stelle, wo man sie mit einigem Wohlwollen noch als dicht bezeichnen konnte.
»Das Haus am Ende der Märkischen Straße«, fuhr Do fort, »du weißt schon, dieses Le-Corbusier-artige Gebäude, das schon seit mehr als einem Jahr leer steht und aus irgendeinem Grund nicht zu verkaufen war, hat endlich einen neuen
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