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Schroedingers Schlafzimmer

Titel: Schroedingers Schlafzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Woelk
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Tisch zusammen und schloß die Augen.
    Schrödinger sagte: »Alles, was ich über Frauen gesagt |260| habe, habe ich auch so gemeint. Ich verehre Frauen. Sie sind mir lieber als Männer. Weitaus lieber. Nur was einen bestimmten, allseits beliebten Zeitvertreib angeht, setzen meine Hormone andere Prioritäten; dagegen ist man machtlos – aber beschäftigt dich das tatsächlich, Do? Ehrlich gesagt, bin ich mir nämlich nicht sicher, ob du
das
wirklich willst. Ich kann ja nicht in dich hineinsehen, aber aus dieser Sache mit dir und Oliver werde ich einfach nicht schlau. Was läuft da? Du sagst, er hat eine Geliebte? Nun gut, das erste, was du tun solltest, ist diese Hexe zu verjagen. Oliver will dich, das spürt man deutlich. Do, ich verrate dir jetzt
noch einen
Trick: Besorge es ihm nach allen Regeln der Kunst, dann kommt er zu dir zurück. So läuft der Hase seit Jahrtausenden. Er sehnt sich nach dir; ich wette, seine Eier kribbeln noch, wenn er dich sieht.« Und dann rief er unvermittelt: »Zum Teufel, jetzt haben wir aber genug Probleme gewälzt. Wie sieht’s aus, wollen wir nicht lieber etwas trinken? Ich habe im Keller einen formidablen Capet-Guillier, 1989er, absoluter Ausnahmejahrgang, sage ich dir, der geradezu danach schreit, endlich gebechert zu werden.«
    Später mußte Do an etwas denken, das er einmal erzählt hatte. Es war jene Theorie, der zufolge das Universum sich jedes Mal teilte, wenn von zwei Möglichkeiten nur eine eintrat. Er hatte es mit einer Katze in einem verschlossenen Kasten erklärt, die vielleicht tot oder lebendig war. Und wenn man den Kasten öffnete, teilte sich das Universum, und in einem lebte sie noch und in dem anderen war sie tot. Und Do dachte, daß sich beim Öffnen der Schlafzimmertür das Universum geteilt hatte. In irgendeinem |261| anderen Universum liebten sie sich, aber es war nicht das Universum, in dem sie weiterleben mußte. Sie hatte den falschen Abzweig erwischt, und es fiel ihr schwer, nicht gekränkt zu sein. Sah man von der philosophischen oder psychologischen Verstiegenheit jener Theorie ab, dann hatte er sie als Frau ganz einfach zurückgewiesen. Er hatte ihr einen Korb gegeben, und damit mußte sie sich abfinden. Sie lächelte traurig und ging aus dem Raum. Er schaltete hinter ihr das Licht aus und schloß die Tür. Und danach war sein Schlafzimmer wieder ein leerer schwarzer Kasten, in dem Josephine ihr traumloses Nickerchen machte.
    Im Wagen fiel Dos Blick auf die Uhr im Armaturenbrett. Mehr als zwei Stunden waren vergangen, und das schien ihr unmöglich zu sein. Aber es war nicht zu ändern. Millionen, Milliarden und Abermilliarden von Sekunden, unter denen man lebendig begraben wurde: Das war die Zeit. Ein unaufhaltsames Versinken in den eigenen Fehlern und Versäumnissen. Do dachte, wenn sie sich jetzt in einem Spiegel sähe, wäre ihr Gesicht so leer und leblos wie das Ziffernblatt der Wagenuhr, auf das sie starrte. Wie deren Zeiger drehte sich ihr Leben im Kreis. Überall fanden sich Zeichen der Vergeblichkeit – nur daß man sie nicht immer sah, weil man es nicht ertrug. Aber jetzt sah sie sie: die Dunkelheit hinter den Fenstern, all die Zäune, die Straßenlaternen, die Bäume, die parkenden Autos, die Bordsteine und Verkehrsschilder, als bestünde die Welt nur aus Hindernissen, um einen in die immer gleichen Bahnen zu zwingen. Sie sah die Vorgärten, die mit der gleichen Sorgfalt gepflegt wurden wie Gräber. Sie sah die Zeichen und glaubte, ersticken zu müssen. Als sie aus dem Wagen |262| stieg, atmete sie ein, so tief es ging. War ihr Lungenvolumen kleiner geworden seit dem letzten Mal? Sie wußte es nicht. Sie legte den Kopf in den Nacken und sah auf: Die schwarze Katze der Nacht, die dünne Kralle der Mondsichel. Das Universum ein großer dunkler Kasten. Eine Möglichkeit zwischen Leben und Tod.
    Außer ihrer Mutter war niemand mehr im Garten. Ursel saß an einem der Tische, eine Wolljacke um die dünne Seidenbluse gelegt. Sie sprang auf. Ihr Gesicht sah im schwachen Kerzenschein vielfach eingedellt und verschrammt aus wie eine Messingbüchse, auf die ein Leben lang Bälle geworfen worden waren. »Doris, Kind, wo warst du denn so lange? Was meinst du, was
das
für ein Gerede gibt?
Alle
haben gesehen, daß du mit diesem Zauberer abgezogen bist, und die, die es nicht gesehen haben, werden es spätestens morgen erfahren! Was hast du dir nur dabei gedacht?«
    Sie setzte sich. »Na und? Oliver verzieht sich zu seiner Geliebten, ich verschwinde mit

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