Schroedingers Schlafzimmer
lange Stab einer Neonröhre flammte an der Zimmerdecke auf, und Do sah sich verwirrt um. Schattenlose, papierweiße Helligkeit füllte den Raum, der praktisch leer war bis auf einen rohen Holztisch, einen Stuhl und das Möbelstück, auf dem Do halb lag, halb saß. Es erwies sich als Bett, oder genauer gesagt als militärisch anmutende Schlafpritsche mit einer dünnen strohigen Matratze auf einem leise knirschenden Spannfedergeflecht. Der Linoleumfußboden war blaßgrün, die Wände weiß. »Oh«, sagte sie irritiert. »Ich hatte es mir üppiger, barocker vorgestellt.«
»Es ist mein Arbeitszimmer. Ich habe lange über die Farbe der Wände nachgedacht, die Maler sind praktisch wahnsinnig geworden. Aber irgendwann habe ich begriffen, daß ich in die falsche Richtung dachte. Der Raum ist meine Leinwand und nicht mein Puff.«
»Ich dachte, Sie lassen Dinge verschwinden und holen sie aus einem Zuschauerohr oder einem Ärmel wieder hervor. Oder Sie wickeln eine Jungfrau in einen Seidenschleier, der dann auf einen Fingerschnipser hin leer zu Boden flattert. Aber hier? Was entsteht hier? Was möchten Sie erschaffen?«
Groß und unschlüssig stand er am Lichtschalter. »Nicht
was
, Do. Wen! Alle großen Künstler haben schließlich ihre Göttin erschaffen: Bildhauer, Maler, Literaten, Komponisten. |258| Da möchte ich mich in aller Bescheidenheit einreihen. Ich möchte niemanden verschwinden lassen, sondern jemanden in die Wirklichkeit rufen. Aber ich tue mich verdammt schwer damit. Irgendwie habe ich den magischen Dreh noch nicht raus.«
Sie stand auf und ging auf ihn zu. »Bist du dir sicher? Daß ich hier bin, kommt mir wie Zauberei vor. Vielleicht hast du es ja geschafft. Du hast
mich
erschaffen.« Sie küßte ihn wieder, seine rasurbedürftigen Mitternachtswangen, den großen Knorpel seiner Nase, seine weichen Lippen. Auf Zehenspitzen balancierend, preßte sie ihren Mund auf seinen. Aber etwas stimmte nicht dabei. Küsse wollen erwidert werden oder wenigstens glückselig empfangen. Es war aber, als küßte sie eine – wenn auch lebendige – Puppe. Ein fühlloses, eingeschlafenes Wesen. Das einzige Signal, das sie von ihm empfing, war geduldige Passivität. Und ein Blick in seine traurigen, ratlosen Augen machte ihr klar, daß es umsonst war, daß sie die Situation vollkommen mißverstanden hatte. Wieder begann sie Worte hervorzustammeln, diesmal Entschuldigungen: »Oh, nein … ich dachte … wie konnte ich nur … du… ich meine, Sie …« Sie fühlte sich vernichtet. Sie wollte sterben.
Er sagte: »Bleiben wir doch beim Du.«
Sie wandte sich ab und schob ihren Rock zurecht: »Es ist so peinlich … so …«
Er unterbrach sie. »Das ist es nicht, auf gar keinen Fall. Es braucht dir nicht unangenehm zu sein, und du solltest es wirklich nicht als Niederlage sehen. Offenbar ist das alles ein Mißverständnis«, sagte er und fügte nach einer kurzen Pause hinzu: »Es ist einfach so: Du spielst im falschen |259| Team, Do. Und dafür kannst du nichts. Ich habe gedacht, das wäre dir klar. Ich meine, ich habe gedacht, es wäre
allen
klar. Die Art wie ich lebe – ich mache ja keinen Hehl daraus, wie ich geschaltet bin. Do, ich bin Herr der
Stäbe
. Das scheint mir heutzutage so selbstverständlich zu sein, daß ich es nicht großartig herumposaune. Ich meine, warum sollte ich das tun? Warum sollte ich überall als erstes meine erotische Visitenkarte abgeben? Dafür gibt es keinen Grund.«
Sie starrte ihn an. »Oh … das heißt, du bist …«
»Ist das für dich ein Problem?«
»Wo denkst du hin?«, beeilte sie sich zu versichern. »Das ist doch … toll … ich meine, normal. Ach, was rede ich für einen Unsinn. Es kommt, wie soll ich sagen, es kommt nur etwas plötzlich. Also ich war darauf nicht vorbereitet.«
Sie betrachtete ihn wieder; auf einmal wirkte seine Dandy-Eleganz eine Spur weniger ironisch. An seinen Füßen huschte ein dünner schwarzer Schatten durch den Türspalt: Josephine. Das Kätzchen umrundete die Wildlederschuhe des Zauberers, trippelte lautlos durchs Zimmer und sprang mit einem geschmeidigen Satz auf den Tisch. Dort lag eine Schreibkladde, sie war schwarz. Ruth mußte sie dem Zauberer verkauft haben, davon hatte sie nie etwas gesagt. Do begriff, daß sie keine Exklusivrechte an seinem Charme besaß. Keine Frau würde Schrödinger je besitzen. Josephine umrundete die Kladde, deren Schwarz der Farbe ihres Fells entsprach. Nach Katzenart rollte sie sich auf dem
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