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Schroedingers Schlafzimmer

Titel: Schroedingers Schlafzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Woelk
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nicht. Was mich betrifft, war Wissen nie meine Stärke. Die Wahrheit ist, daß ich ein sehr schlichter, sehr naiver Charakter bin, das können Sie mir glauben, Do. Ich will das, was alle wollen: Schönheit, Stil, und natürlich Glück. Auf die Dauer kommt man nicht klar, wenn man nicht hin und wieder glücklich ist.«
    Do mochte es, wenn er in seiner Art philosophisch wurde. Sie sagte sich Folgendes: Wenn die Situation, die sie gerade erlebte, Teil eines Romans wäre, dann würde sie als Leserin
wollen
, daß
es
geschah. Alles war so eingerichtet, daß sie in dieser Nacht ihres achtunddreißigsten Geburtstags zum ersten Mal seit mehr als zwölf Jahren wieder mit einem anderen Mann schlafen sollte als mit Oliver. Das war ihr Schicksal, und sie wollte mit ihrem Schicksal einverstanden sein. Sie dachte an den Fatalismus ihres Vaters, der ein Fatalismus des Leidens war. Ihrer war einer des |255| Glücks. Und es erschien ihr auf einmal sehr wahrscheinlich, daß Schrödinger sie in dieser Nacht glücklich machen würde.
    Sie erreichten das Haus des Zauberers. Der geometrische Bau lag blaß unter den aufragenden schwarzen Tannen da. Als der Zauberer die Tür aufschloß, ging Do ein absurder, verwirrender Gedanke durch den Kopf. Vielleicht hatte es den Anruf seiner Nachbarin gar nicht gegeben. Vielleicht war all das Teil eines Plans, um sie in sein Haus zu locken. Dos Vorstellung von Wohnungseinbrüchen war ein Destillat aus Filmen und Fernsehserien. Sie dachte an Taschenlampenlichtkegel, die hinter Glas lautlos durch dunkle Räume huschten. Aber es gab keine Anzeichen dafür, daß jemand das Haus durchsucht hatte. Der Wilcox-Gay Röhrenempfänger und die Aphrodite von Preiss & Kassler standen noch an ihren Plätzen. Die perfekte Aufgeräumtheit des Wohnzimmers war durch keinen Akt des Vandalismus angekratzt worden. Schrödinger ging zur Terrassentür, die tatsächlich nur angelehnt war, und schloß sie. Er hatte die Wahrheit gesagt, aber auch in diesem Punkt konnte sie von ihm inszeniert sein.
    »Ich habe Glück gehabt, es ist nichts geschehen. Ich bin das, was man einen Glückspilz nennt, Do. Alle meine Wünsche sind in Erfüllung gegangen. Ich bin Zauberer geworden, bin in der Welt herumgekommen, das Publikum hat mich geliebt! Aber wissen Sie, Do, wahr ist auch, daß ich mir immer genommen habe, was ich wollte. Es steht mir ja nicht zu, Ihnen einen Rat zu erteilen, aber ich habe das Gefühl, Sie müssen allmählich was unternehmen, um den Zug zum Glück nicht zu verpassen. Im Moment |256| gehen von Ihnen sehr unklare und nervöse Signale aus. Ich hab’s ja schon gesagt: Ich bin kein Hellseher, und Handlesen ist auch nicht meine Stärke. Aber wenn Sie mich fragen, müssen Sie sich wirklich ranhalten und das Leben bei den Hörnern packen. Achtunddreißig ist nicht ganz ohne, da sind schon einige Jährchen weg. Die Zeit rast, wie wir alle wissen. Ich finde, Ihre Mutter ist eine großartige Frau, die läßt sich die Butter nicht vom Brot nehmen, auf ihre Weise. Also wie gesagt, das ist alles ganz unverbindlich. Und ich sag’s auch nur, weil ich inzwischen das Gefühl habe, irgendwie Ihr Freund zu sein. Machen Sie damit, was Sie wollen, oder vergessen Sie ganz einfach wieder, was ich gesagt habe. Sie sind wirklich eine tolle Frau, Do, aber ein bißchen eingetrocknet.«
    Inzwischen waren sie oben angekommen und blieben vor der Schlafzimmertür stehen. Der Lempicka-Akt mit der eingeknickten Taille und dem tief auf dem Hüftknochen hängenden, um die Schenkel geschlungenen Laken hing schimmernd im indirekten Licht. Und da geschah es endlich: Do sprang Schrödinger an, schlang mit äffchenhafter Energie die Arme um seinen rosigen Zaubererhals und stammelte dabei: »Du hast recht   … ja recht   … du   … du   …« Sie küßte ihn so gierig auf Mund und Wangen, als atmete sie nicht Sauerstoff, sondern irgendein lebensnotwendiges Element, das seiner Haut entströmte. Dann nestelte sie an seinen Hemdknöpfen herum, als wären diese allesamt glühend heiß. Sie stotterte: »…   du   … oh   … du   …« Derart mit Küssen gestempelt, verlor der Zauberer die Balance. Die Schlafzimmertür sprang auf, sie stolperten in den Raum und stießen krachend gegen irgendein |257| Möbelstück. Der Aufprall trennte sie. Während Do sich auf einer gepolsterten Fläche liegend wiederfand, war Schrödinger auf seinen Beinen verblieben. Er durchquerte die Zimmerdunkelheit, in der er sich auskannte, und schaltete das Licht ein.
    Der

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