Schroedingers Schlafzimmer
einem Zauberer – was auch immer geredet werden wird: Es stimmt ganz einfach. Es ist alles vorbei. Laß uns schlafen gehen. Sind die Kinder im Bett? Danke, daß du dich um sie gekümmert hast.«
»Apropos Oliver«, sagte Ursel, »du weißt es noch nicht, oder?«
»Was sollte ich wissen?«
Es konnte nicht
noch
schlimmer kommen – diese Einsicht gab Do überraschend Ruhe.
Mit theatralischer Knappheit verkündete Ursel: »Man hat ihn gefunden.«
»Was soll das heißen? – Wen?«
|263| »Oliver natürlich. Also Dori, was ich dir jetzt zu sagen habe, ist nicht sehr erfreulich. Ich hoffe …«
»Mama!
Wo
ist er von
wem
gefunden worden? Mein Gott, es ist ihm doch nichts …«
»Nein, nein. Es geht ihm den Umständen entsprechend gut. Jedenfalls ist mir das versichert worden. Er liegt im Krankenhaus. Ich konnte hier ja nicht weg, oder ich hätte die Kinder wecken müssen. Aber ich habe die Adresse.«
»Was ist passiert?«
»Deine Freundin Helma hat mich angerufen, kurz nachdem sie sich verabschiedet hatte. Stell dir vor, sie ist mit ihrem Mann
zu Fuß
nach Hause gegangen!«
»Das weiß ich. Es ist nur eine Viertelstunde.«
»Es kam mir ein wenig leichtsinnig vor, hier in Berlin.«
»Mama!«
»Schon gut. Also die beiden haben Oliver gefunden.«
»Wo?«
»Offenbar vor einer alten Litfaßsäule. Gibt es hier so etwas?«
»Ja, ja. Ich weiß schon, wo.«
»Er war bewußtlos, und sie haben einen Krankenwagen gerufen. Ich habe natürlich sofort gedacht, er wäre überfallen worden, aber Gott sei Dank ist es nur eine Kreislaufgeschichte. Das warme Wetter, der Alkohol.«
»Weiß man, wie lange er dort gelegen hat?«
Ursel sah sie an: »Ich weiß schon, was du denkst, aber auf
diese
Frage gibt es keine Antwort. Niemand weiß, wo er die ganze Zeit gewesen ist. Du wirst Oliver selbst fragen müssen.«
»Ich fahre sofort hin.«
|264| »Er liegt im Koma, Kind. Und … ich muß dir noch etwas sagen.«
»Was gibt es noch?«
»Diese Litfaßsäule, vor der Oliver gefunden worden ist.«
»Ja?«
»Helma hat sich sehr schwer damit getan, mir reinen Wein einzuschenken.«
»Du kannst sicher sein, daß sie jedes Wort genossen hat«, sagte Do.
»Wie du meinst. Offenbar hat Oliver mit einem Stein eine Zeichnung auf den Beton gekratzt.«
»Eine Zeichnung?«
»Eine Frau.«
»So?«
»Eine nackte Frau.«
»Ach ja?«
»Dich, Dori. Und das offenbar in einer äußerst aufreizenden Pose mit hochgestreckten Armen und so. Ist das nicht ungeheuerlich! Er hat dich an eine Litfaßsäule gekratzt, an der das ganze Viertel tagtäglich vorbeikommt.«
»Woran erkennt man denn, daß ich es bin?«
»Aber das ist doch ganz egal. Ich meine, Helma
hat
dich jedenfalls erkannt.«
»Helma sieht, was sie sehen will.«
»Ich verstehe nicht, wie du Oliver in Schutz nehmen kannst. Er macht dich lächerlich, und wir, die wir dich lieben, sollen ihn dafür nicht verurteilen dürfen?«
»Vielleicht macht er mich ja
nicht
lächerlich. Vielleicht ist es ja eine
sehr schöne
Zeichnung.«
|265| »Ich verstehe dich nicht.«
»Wenn jemand das Recht hat, ihn zu verurteilen, dann ich, Mama, und niemand sonst. Ich werde jetzt zu ihm fahren.«
»Aber es ist praktisch eine Höhlenzeichnung, Dorilein. Er hat sich wie ein Neandertaler benommen! Er betrachtet dich sozusagen als seine Squaw oder eine Art von Wild.«
»Nein, Mutter, ich kenne ihn besser als du. Er ist kein Neandertaler.«
»So?! Und was ist er dann?«
Es kam ihr nicht leicht von den Lippen: »Er ist mein Mann.«
|266| 14
Zwei Dinge waren es, die Oliver sich vornahm, als er im Krankenhaus erwachte. Gräßliche Schmerzen marschierten durch seinen Kopf. Er fühlte sich hundeelend, und doch war es ihm nicht möglich,
nicht
über sein Leben nachzudenken. Als erstes faßte er den Entschluß, das absurde Geständnis, er habe eine Geliebte, Do gegenüber zu widerrufen. Er übte massive Selbstkritik und warf sich Verschiedenes vor, unter anderem, sich die imaginäre Geliebte aus niederen Motiven zugelegt zu haben. Die sexuelle Sackgasse, in die er geraten war, bestand nicht darin, daß Do und er nicht mehr miteinander schliefen, sondern darin, daß er das immer noch wollte. Sich ihren Körper vorzustellen, erregte ihn auch nach zwölf Jahren noch. Ihre Figur war etwas gedrungen, aber sehr weiblich. Für die perfekte Form ihrer Brüste hatte die Büstenhalterindustrie die Körbchengröße 75 B definiert. Diese erotische Chiffre hatte sich Oliver gleich zu Beginn ihres
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