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Schrottreif

Schrottreif

Titel: Schrottreif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Morf
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nun wirklich nicht. Verstehst du, ich bin involviert in diese Sache! Zudem hatte ich nie den Wunsch, Sozialarbeiterin zu sein. Und was heißt schon Dummheit? Es gibt hochintelligente Menschen, die ihre Klugheit dafür gebrauchen, anderen zu schaden, sich selbst zu bereichern oder sonst was.«
    Seppli, der neben dem Tisch gedöst hatte, hob seinen Kopf.
    »Na ja, die Wirtschaftskriminellen, die Mafiabosse möglicherweise schon«, entwickelte Leon seine Theorie ungerührt weiter. »Aber verurteilt werden meistens die Kleinen. Schau, vor ein paar Jahren, als ich in einer Parterrewohnung wohnte, stieg nachts ein Einbrecher bei mir ein, während ich schlief. Er nahm mein Portemonnaie und meinen Compi mit, die beide auf dem Küchentisch lagen. Ich habe keine Anzeige erstattet, das hätte die Welt nicht besser gemacht. Vielleicht hätte jemand diesem Typen einfach einen Compi schenken müssen, dann hätte er es nicht nötig gehabt, einen Einbruch zu begehen.«
    Einen Moment lang verschlug es Valerie die Sprache. Das war ja wohl das Letzte. »Ach, und was hätte man dem Mörder von Hugo Tschudi schenken sollen, damit er davon absieht, ihn kaltzumachen?« Sie war ziemlich laut geworden. Seppli stand auf, trottete zu Valerie und sah zu ihr hoch. »Was hast du denn für eine Vorstellung von einem Rechtsstaat? Du bist doch völlig naiv!«
    »Komm, reg dich ab«, wiegelte Leon ab, dem nicht mehr ganz wohl war. »Im Übrigen ist es naiv zu glauben, dass der Rechtsstaat Gerechtigkeit herbeizaubern kann.«
    »Da wird gar nichts gezaubert!«, gab Valerie zurück. »Ermittlungen in einem Mordfall sind harte Knochenarbeit.« Sie schwieg. Sie war zornig, aber auch erschrocken. Was war mit Leon los? Warum verriet er sie? Verlor sie jetzt auch noch ihren Freund?
    Sie riss sich zusammen, erkundigte sich nach Benjas Augenentzündung, aber nur, weil sie nicht mit Getöse und im Streit abhauen wollte. Und sie wollte nicht, dass er mitbekam, wie verletzt sie war. Sie verabschiedete sich bald.
     
    *
     
    Von Samstag bis Montag war sie wie geplant mit Lina weggefahren. Sie war froh wegzukommen, einerseits, weil sie Leon nicht begegnen wollte, aber auch, weil jetzt die Journalisten vom Lokalfernsehen und von der Gratiszeitung wirklich vor ihrem Haus herumstreunten, auf der Suche nach Bildern und Statements. Luís war schon auf dem Bildschirm erschienen. Valerie war ihm nicht wirklich böse, die Verlockung für einen 16-Jährigen war wohl einfach zu groß, aber sie hatte zum Telefon gegriffen und ihm weitere Medienauftritte verboten. Mit Lina fuhr sie ins Bündnerland, nach Vals. Sie hatten etwas spät gebucht, aber mit Glück im Hotel Therme zwei Zimmer ergattert.
    Im Auto erzählte sie ihrer Freundin vom Streit mit Leon.
    »Wenn er so denkt, will ich gar nicht mehr mit ihm befreundet sein«, brauste sie auf und brach plötzlich in Tränen aus.
    »Doch«, beschwichtigte Lina, »das wirst du.« Während sie mit der linken Hand lenkte, fischte sie mit der rechten ein Päckchen Papiertaschentücher aus der Handtasche und schob es Valerie zu. »Der Abend gestern ist gründlich schiefgegangen. Und dieses Thema schneidest du besser nicht mehr an. Da versteht er dich nicht. Ich finde es genauso daneben, was er von sich gegeben hat. Aber kaputt geht eine Freundschaft nicht so schnell.«
    Sie gingen, nach einem Spaziergang im Schnee mit Seppli, gleich ins Bad, legten sich ins warme Blütenwasser, schwitzten im Dampfbad, schwammen draußen im Pool, den Körper im warmen Wasser, den Kopf in der kühlen Bergluft. Anschließend wickelten sie sich in weiche Tücher, legten sich auf zwei Liegen und schauten in die weiße Berglandschaft hinaus. Valerie schwieg, aber nicht nur, weil um sie herum Leute dösten oder lasen, sie war wieder in ihre Gedanken versunken. Später, vor dem Abendessen, gingen sie nochmals mit dem Hund den Bach entlang. Valerie schwieg weiterhin.
    Plötzlich forderte Lina streng: »Ab sofort denkst du laut. Das bringt nichts, wenn du vor dich hin grübelst. Wenn du schon an nichts anderes denken kannst, sprich wenigstens darüber.«
    »Wie soll ich an etwas anderes denken können?«, verteidigte sich Valerie hitzig. »Mein Laden ist am Ende. Das verstehst du nicht mit deinem sicheren Arbeitsplatz.«
    Sie lief ein wenig rascher. Lina blieb eine Minute zurück. Dann holte sie ihre Freundin ein, Valerie spürte eine leichte Berührung an der Schulter.
    »Es geht dir doch nicht nur darum«, wandte Lina ein, weicher. »Dir hat es den Boden unter

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