Schrottreif
aber nie mehr zurückgebracht hatte, oder von den beiden kleinen albanischen Mädchen. Lina liebte solche Geschichten.
»Wie läuft es mit Hannes?«, fragte Valerie beim Dessert.
Lina schaute ratlos drein und zuckte die Schultern.
»Also, was wäre dir lieber: wenn Hannes nach Berlin zöge oder wenn er nach Bern käme?«
Lina überlegte. Schließlich sagte sie zögernd: »Doch, ich glaube, Bern wäre mir lieber.«
»Also ist alles gut«, sagte Valerie.
»Ich beginne, mich an den Gedanken zu gewöhnen«, gab Lina zu. »Ich bin nur erschrocken, weil ich dachte, er würde sich total verändern und wolle pausenlos mit mir zusammen sein.«
»Unsinn«, widersprach Valerie, »dann würde er nach Zürich ziehen und um deine Hand anhalten.«
Bei dieser Vorstellung musste Lina lachen und war beruhigt. Übergangslos fragte sie: »Was macht eigentlich Beat über Ostern?«
Valerie reagierte abweisend. »Weiß ich doch nicht. Arbeiten wahrscheinlich. Hat ja einen Mordfall zu lösen.«
Lina bereute ihre unüberlegte Frage und wechselte das Thema.
Valerie ging, wie meistens, früh zu Bett. Lina, die ein Nachtmensch war und bei der Zeitung oft bis 23 Uhr arbeitete, setzte sich für eine Weile in die blaue Halle in einen der einladenden Sessel und hörte den jazzigen Melodien des Barpianisten zu, obwohl sie normalerweise Punk bevorzugte.
Am nächsten Morgen war Valerie früh wach. Nach einer kleinen Runde mit Seppli war sie kurz nach 7 Uhr im fast leeren Bad und schwamm ein paar Längen im lauen Wasser, aus dem Dampf in die kalte Luft aufstieg, während vereinzelte kühle Schneeflocken ihr Gesicht nässten. Sie hatte wirr geträumt wie immer in der ersten Nacht in den Bergen, sie konnte sich nur noch an einzelne Bilder erinnern. Übermorgen, dachte sie, werde ich wieder im Geschäft stehen. Es graute ihr nicht mehr davor. Wollen doch mal sehen, sagte sie sich. Das ist immer noch mein Laden. Sie setzte sich für ein paar Minuten in die dämmrig beleuchtete Grotte mit dem 42 Grad heißen Wasser, tauchte anschließend mutig ins kalte Becken und zählte bis 20.
Danach ging sie hinauf, bestellte sich einen ersten Kaffee und wartete auf Lina, die nach 9 Uhr auftauchte, extra früh, wie sie versicherte, damit sie zusammen frühstücken konnten.
Es war Lina, die das Gespräch auf den Mord zurückbrachte. »Du hast mir von dieser Kundin erzählt, weißt du, die, die im Geschäft eine Szene machte wegen der Bremsen«, begann sie.
»Angela Legler, ja«, sagte Valerie, »die hat sich seither nicht mehr blicken lassen, zum Glück. Es ist eine gute Methode, unliebsame Kunden zu vertreiben, indem man ihnen voller Verachtung etwas gratis gibt. Die trauen sich anschließend nicht mehr her, weil sie sich gedemütigt fühlen.«
»Hat Tschudi diese Szene zufällig mitbekommen?«, wollte Lina wissen.
»Hm, daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich habe nicht darauf geachtet, ich wollte einfach dieses Weib aus dem Laden haben. Warum fragst du?«
»Es ist nur so eine Idee. Du hast mir erzählt, dass Tschudi ziemlich gemein sein konnte. Spöttische Blicke, hämische Bemerkungen, womit er Leute in Rage bringen konnte. Schiesser zum Beispiel. Und diese Angela Legler hat offenbar ein Potenzial zum Ausrasten. Wenn er sie nun provoziert hat, indem er sich über den schmachvollen Rauswurf aus dem FahrGut lustig gemacht hat? Wenn sie ihm den Hammer in deinem Laden auf den Kopf haute, konnte sie damit auch dir eins auswischen.«
»Ich kann mir das nicht recht vorstellen«, seufzte Valerie. »Allerdings ist es schon so, dass sie hochgradig spinnt. Ich habe überhaupt nicht daran gedacht, dass eine Frau als Täterin infrage kommen könnte. Aber es wäre natürlich möglich. Es braucht nicht besonders viel Kraft, jemandem einen Hammer auf den Schädel zu hauen. Aber komm, lassen wir für den Moment die Mutmaßungen; darüber soll Beat sich den Kopf zerbrechen. Wir könnten das Postauto nach Zervreila nehmen und dort ein bisschen spazieren gehen.«
*
Nun war es so weit. Markus und Luís hatten sich eingefunden, Letzterer ungewöhnlich früh. Er fand es interessant, Direktbeteiligter bei einem so spannenden Ereignis zu sein: Mord. Und bisher nicht aufgeklärt. Jeder konnte es gewesen sein. Jeder, der an FahrGut vorbeiging oder hineinkam. Sagte man nicht, es ziehe den Täter an den Ort der Tat zurück? Luís trug die Idee Valerie vor: Man müsste einen Polizisten vor dem Laden postieren und der müsste alle kontrollieren, die in die
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