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Schrottreif

Schrottreif

Titel: Schrottreif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Morf
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geräumig und ruhig empfand. Er hatte ein paar Freunde; Arbeitskollegen und einige, die ihm aus der Zeit geblieben waren, bevor er Polizist wurde. Einer war Richter und einer ein auf Strafrecht spezialisierter Rechtsanwalt; mit ihnen diskutierte er gerne über die unterschiedlichen Aspekte ihrer Arbeit.
    Auf Valerie hatte er schon ein Auge geworfen, als er noch mit Liliane zusammen war. Eines Morgens war sie auf dem Posten aufgetaucht, weil in FahrGut eingebrochen worden war. Das Verbrechen war nie aufgeklärt worden, aber das hatte sie ihm nicht übel genommen. Sie machte es ihm ebenso wenig zum Vorwurf, dass er Polizist war, und er konnte sich mit ihr über vieles unterhalten. Eines Abends, das war schon nach der Scheidung, hatte er ihr kurz nach 19.30 Uhr sein Fahrrad zur Reparatur gebracht. Ihre Angestellten hatten bereits Feierabend gemacht. Sie hatte ihn auf ein Bier in ihrem Büro im unteren Stock eingeladen, in dem ein kleines Brockenhaus-Sofa stand. Sie hatte ihn angeschaut und die Spangen, mit denen sie tagsüber ihre Locken hochsteckte, aus dem Haar gelöst. Von da an hatten sie sich ab und zu heimlich getroffen, meistens bei ihm. Aber hinterher ging sie natürlich zu ihrem Quacksalber nach Hause. Und er blieb in seiner Wohnung, die noch belebt war von Valeries Präsenz. Nach vier Monaten hatte sie gesagt, es wäre vorbei, sonst müsse sie es Lorenz sagen, sie fühle sich nicht mehr wohl. Er hatte sie nicht gedrängt, ihrem Freund ihr Verhältnis zu beichten, sondern akzeptiert, dass die Affäre zu Ende war. Es war müßig, sich nun zu fragen, ob das ein Fehler gewesen war.
    17 Uhr. Streiff wählte nochmals die verbliebenen Telefonnummern aus Hugo Tschudis Adressbuch, ohne Erfolg. Er schaute aus dem Fenster. Der Verkehr hatte etwas zugenommen. Die ersten Zürcher kamen offenbar bereits aus den Osterferien zurück, früh, damit sie nicht stundenlang im Stau am Gotthard stecken blieben. Ein Mann überquerte die Straße. Etwas übergewichtig, registrierte Streiff automatisch. Seit er dicker geworden war, hatte er begonnen, andere Männer auf ihren Körperumfang zu taxieren. Er fragte sich, ob es Leute gab, die bei seinem Anblick dachten, der könnte ein paar Kilo abnehmen. Ob es Valerie aufgefallen war? Vermutlich sollte er wirklich endlich etwas dagegen unternehmen. Er könnte im Santa Lucia ein Rindercarpaccio und einen Salat essen gehen. Zu Hause im Kühlschrank lag ohnehin nicht viel.
     

Dienstag, 3. Woche
    1. Teil
    Valerie war nervös. Noch eine Stunde, bis sie den Laden öffnen würde. Am letzten Mittwochmorgen war Hugo Tschudi tot aufgefunden worden. Zwei Tage hatten sich Leute in weißen Overalls in ihrem Geschäft aufgehalten und versucht, relevante von irrelevanten Stäubchen, Fasern, Metallsplittern und DNA-Winzigkeiten zu unterscheiden. Am Donnerstag hatte sie erfahren, dass es Hugo Tschudi gewesen war, der sie nachts angerufen und ihr den toten Fisch geschickt hatte. Sie war wie vom Donner gerührt gewesen. Tschudi? Das hätte sie ihm nicht zugetraut. Dieses Schwein. Und dann lässt er sich auch noch in meinem Laden umbringen. Ein Gefühl von Ekel hatte sie erfasst. Am Donnerstagabend war Geschäftsübergabe, FahrGut gehörte wieder Valerie. Sie hatte sich davor gefürchtet, die weißen Kreidestriche, die Hugos Körper markiert hatten, zu sehen. Aber sie waren weggewischt. Die Blutflecken hingegen waren zu sehen. Sie fühlte Abscheu. Am Karfreitagmorgen war sie in den Laden gekommen, zuvor durch die stillen, leeren Straßen gelaufen, bewaffnet mit Putzutensilien, die sie in einem Geschäft im Hauptbahnhof, das an Feiertagen geöffnet hatte, hastig zusammengekauft hatte. Sie hatte darauf verzichtet, Sibel zum Putzen zu bestellen. Das musste sie selbst tun. Denn es ging um mehr als darum, Blut wegzuwaschen. Das Lokal, ihr Reich, war ihr durch den Mord, der darin begangen worden war, entglitten. Jemand hatte sich ihrer Räume bemächtigt und diese für etwas Furchtbares missbraucht und nun musste sie sich ihren Bereich zurückerobern. Valerie war nicht der meditative Typ. Sie entzündete keine Räucherstäbchen, setzte sich nicht auf die Wendeltreppe, um gute Energien ins All ihres Ladens, ihres Ein und Alles, zu verströmen. Sie schob eine Stockhausen- CD in den Player, drehte die Lautstärke voll auf, fast schepperte es, aber das war ihr jetzt egal, und begann zu putzen. Fegte den Boden, schmirgelte Spuren von der Wand ab, verbrauchte literweise so heißes Wasser, dass es ihr durch die

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