Schrottreif
Noch einen. War doch sinnlos. Selbst wenn sie auf der richtigen Spur war, gab es x Möglichkeiten. Sie kritzelte Wörter in großen Buchstaben auf ein Blatt Papier. Zuoberst den Begriff ›PASSWORT‹. Sie betrachtete den Begriff mit zusammengekniffenen Augen. Schließlich schrieb sie darunter: ›WAS SPORT‹, ›PS SO WARS‹, ›PROST WAS‹. Sie gab eine Kombination nach der anderen ein. Versuchte weitere Ausdrücke. Gar nicht so einfach. Sie gab wieder etwas ein. Allzu viele Kombinationen gab es ja nicht. Noch eins. Plötzlich war sie drin. In Salome Zweifels Mailbox. Sie kam sich fast vor wie bei einem Einbruch. Spürte, dass Röte in ihre Wangen stieg. Sicher machte sie sich strafbar. Es waren nicht viele E-Mails im Posteingang.
Valerie öffnete das mit dem Absender von Frau Zweifels Handynummer, mit dem Datum des Mittwochs vor zwei Wochen. Sie klickte es an. Es war ein kleines Video. 30 Sekunden. Es war nicht Seppli darauf, wie er auf der Werkbank tanzte. Es war die offene Kasse zu sehen. Und man konnte eine Person beobachten, die hastig nach ein paar großen Noten griff und sie in der Hosentasche verschwinden ließ.
Filmende. Valerie speicherte das Video auf ihrem Computer. Dann loggte sie sich aus Frau Zweifels Mailbox aus. Blieb eine Weile ganz still sitzen. Ohne zu denken. Bis sie spürte, dass sie die Gedanken nicht länger fernhalten konnte, dass sie drohten, sie wie eine Woge zu überrollen.
Sie schickte Beat eine SMS, damit er sich bei seinen Mails einloggte. Er antwortete. Sie sandte ihm das kleine Video. Er reagierte sofort. Valerie schloss den Browser und schaltete den Computer aus. Sie hatte getan, was sie konnte. Der Rest war Streiffs Sache. Sie ging langsam in den Verkaufsraum hinauf. Markus und Luís waren dabei, Reparaturen auszuführen. Der Anlehrling fragte Markus etwas wegen einer defekten Felgenbremse, der Mechaniker erklärte. Die Eingangstür klingelte, ein Kunde schob ein lädiertes Fahrrad herein. Valerie nahm es entgegen, ließ sich erklären, was geflickt werden musste, füllte den Reparaturzettel aus, nannte ein Abholdatum. Sie machte alles automatisch, funktionierte, aber sie hätte hinterher nicht wiederholen können, was sie mit dem Kunden gesprochen hatte. Meine eigene Spur, dachte sie. Alles erschien unwirklich.
2. Teil
Valerie schaute auf den Platz vor ihrem Fahrradladen. Ein Auto hielt. Auch im Hinterhof des FahrGut stoppte ein Wagen. Durch die Vordertür betrat Streiff das Geschäft, flankiert von zwei uniformierten Polizisten. Ein weiterer Beamter blieb vor der Eingangstür stehen. Streiff schaute an Valerie vorbei, die ihrerseits ihn weder ansah noch grüßte. Im Raum war es plötzlich sehr still. Streiff ging auf Markus und Luís zu, die, ihre Köpfe über ein Rad gebeugt hatten und in ihre Arbeit vertieft schienen. Sie schauten auf, Luís fuhr zusammen.
»Herr Stüssi«, sagte Streiff, sein Tonfall war anders als sonst. Bevor Streiff weiterreden konnte, reagierte Markus. Im Nachhinein dachte Valerie, dass sie das am meisten verwirrt und überrumpelt hatte, die rasche Reaktion ihres Angestellten, der sonst weder schnell schaltete noch sich behände bewegte. Er fuhr mit der einen Hand in die Tasche seines Arbeitsoveralls, packte mit der anderen Luís, hatte plötzlich ein Messer in der Hand, schlang einen Arm um den Jungen, hielt ihm die Waffe an den Hals. Er machte einen langsamen Schritt rückwärts, in Richtung der Tür, die in den Hinterhof führte. Dort standen zwei uniformierte Polizisten. Markus sah sie nicht.
»Bleiben Sie stehen!«, befahl Streiff ruhig.
Luís’ Augen waren weit aufgerissen, er schaute Valerie an. Valerie sagte zu Markus mit nicht sehr lauter, schleppender Stimme, als ob es nicht so wichtig wäre: »Markus, lass Luís los. Das funktioniert so nicht. Du machst alles nur noch schlimmer. Es läuft hier nicht so wie im Fernsehkrimi.«
Markus tat einen weiteren Schritt. Valerie schaute an ihm vorbei auf die beiden Beamten an der Hintertür. Markus stoppte. Im selben Moment waren hastige Schritte auf der Wendeltreppe zu hören. Sibel. Sie sah die Szene von hinten, begriff, stieß einen Schreckensschrei aus. Markus drehte sich nicht zu ihr um. Aber er ließ das Messer fallen, sein Arm, mit dem er Luís umklammert hatte, sank herab. Im Bruchteil einer Sekunde waren zwei Polizisten bei ihm, drehten ihm die Arme auf den Rücken und legten ihm Handschellen an. Luís lehnte sich bleich an die Wand. Sibel, Tränen in den Augen, hatte Markus an
Weitere Kostenlose Bücher