Schrottreif
denn?«
»Weil«, stotterte Adele, »sie mit dem Handy vielleicht hätte Hilfe herbeirufen können und nicht hätte sterben müssen.«
»Aber das Handy hatte sie doch verloren«, wandte Valerie verwirrt ein.
Adele schüttelte den Kopf. »Ich habe es genommen«, flüsterte sie. »Ich wollte es nicht stehlen, nur ein bisschen behalten, weil ich keines haben darf. Ich wollte nur die Bilder von Seppli anschauen und es ganz sicher zurückgeben.« Sie hatte es auf der Bank entdeckt, auf der Frau Zweifel es vergessen hatte. Aber dann war die alte Dame krank geworden und sie hatte es nicht zurückgeben können. Sie hatte immer mehr Angst bekommen, weil sie gestohlen hatte. Sie nestelte das kleine silberfarbene Gerät aus ihrer Schultasche hervor und reichte es Valerie. Diese atmete tief durch. Jetzt hielt sie es in der Hand, das Ding, das ihr in den vergangenen zwei Wochen so viel Kopfzerbrechen bereitet hatte.
»Zuerst dachte ich, ich könnte es ihr in den Briefkasten legen, aber es sind doch sicher meine Fingerabdrücke drauf«, wisperte Adele. Und dann hatte Markus sie beschuldigt, es genommen zu haben. Womöglich hatte er sie beobachtet. Daraufhin hatte sie nicht mehr aus noch ein gewusst.
»Und heute Morgen habe ich gehört, dass sie tot ist.« Adele schluchzte. Sie hatte sich nicht getraut, nach Hause zu gehen, aus Angst, ihren Eltern erzählen zu müssen, was sie Schlimmes getan hatte. Bloß noch verstecken wollte sie sich. So war sie mittags, von niemandem bemerkt, durch die Hintertür in den Laden geschlüpft, in den unteren Stock geschlichen und hatte sich im Kellerabteil verkrochen. Sie hatte leise geweint und war auf dem alten zerschlissenen Sessel, der dort stand, eingeschlafen, dann wieder aufgewacht und hatte immer noch nicht gewusst, was sie tun sollte. Schließlich hatte Valerie sie gehört.
»Jetzt rufe ich erst mal deine Eltern an«, beruhigte sie Valerie. »Sie haben große Angst um dich. Sie haben schon die Polizei angerufen, dass sie dich suchen soll.« Beim Wort ›Polizei‹ begann das Mädchen wieder zu weinen, aber Valerie beruhigte sie. »Es wird dir wegen des Handys nichts geschehen«, versicherte sie. »Vielleicht ist es sogar sehr gut, dass gerade du es auf der Bank gefunden und so gut aufbewahrt hast. Denn möglicherweise können wir deshalb etwas Wichtiges erfahren.« Während sie auf Adeles Eltern warteten, erzählte ihr die Kleine, wie Frau Zweifel ihr an jenem Mittwoch gezeigt hatte, wie man Fotos und kleine Videofilme als MMS versenden konnte. Die Aufnahmen anzuschauen, dazu blieb keine Zeit mehr, aber Frau Zweifel hatte versprochen, sie würde ihr ein Foto von Seppli als Mail schicken. Adele wusste Papas E-Mail-Adresse, er würde sicher nichts dagegen haben. Sie hatte die Aufnahmen später auf dem Handy anschauen wollen, aber sie waren gelöscht worden.
»Weißt du denn, wie das funktioniert?«, fragte Valerie.
»Klar, von den anderen«, sagte Adele, »ich habe Sruli zugeschaut und Deborah.«
Valerie überprüfte das Handy. Der Akku war natürlich mittlerweile leer. Adele hatte gesagt, es seien keine Aufnahmen mehr darauf. Die Sache ließ ihr keine Ruhe. Hätte sie Streiff bloß früher informiert.
*
Später am Abend rief Beat sie an. »Gute Nachrichten, soweit in diesem Zusammenhang von guten Neuigkeiten die Rede sein kann. Schiesser hat gestanden, die Schaufenster von FahrGut angesprüht zu haben.« Elmer und er hatten ihn am Nachmittag, während Adele abgängig war, offenbar ziemlich in die Mangel genommen. Dem Verdacht ausgesetzt, einen Mann erschlagen und ein kleines Mädchen entführt zu haben, war er schließlich geständig, wollte reinen Tisch machen und die Wahrheit sagen. Ja, er war es gewesen, er war in jener Nacht mit einer Spraydose unterwegs gewesen, nicht gerade in Turnschuhen und Wollmütze wie die Kids, die nachts ihre Malereien und Tags auf Mauern platzierten, aber er hatte das Schaufenster von Valerie beschmiert. Er wollte ihr schaden, er wollte, dass ihr Geschäft einging. Offenbar war er überzeugt davon, dass seines dann besser laufen würde. Über diesen Irrtum klärte ihn Streiff nicht auf. Natürlich konnte es sein, dass Schiessers Geständnis ein Ablenkungsmanöver war, es war kein Beweis, dass er kein Mörder war. Aber immerhin war ein Delikt aufgeklärt und Adele war wieder aufgetaucht. Valerie ging, nach einem ausführlichen Telefongespräch mit Lina und einem kleinen Spaziergang mit dem Hund, etwas getröstet zu Bett.
Donnerstag, 4.
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